Letz­te Woche hat die EU-Kom­mis­si­on die Ver­ord­nung (EU) 2022/350 ver­öf­fent­licht. Sie ergänzt die bis­he­ri­ge Sank­ti­ons­ver­ord­nung (EU) 833/2014. Jene galt bereits seit meh­re­ren Jah­ren und stell­te eine Reak­ti­on auf die völ­ker­rechts­wid­ri­ge Anne­xi­on der Krim durch Russ­land dar. Sie wird nun um neue Rege­lun­gen ergänzt, die euro­pa­wei­te Inter­net­sper­ren der bei­den wich­tigs­ten rus­si­schen Pro­pa­gan­da-Sen­der vor­se­hen. Die­se müs­sen von allen betrof­fe­nen Unter­neh­men umge­setzt wer­den, also etwa Platt­for­men, Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst­leis­ter oder Telemediendienste.

Die Ver­ord­nung wur­de am 1.3.2022 vom Rat ange­nom­men und schon am 2.3.2022 im Amts­blatt ver­öf­fent­licht. Sie gilt seit die­sem Tag unmit­tel­bar. Als Ver­ord­nung bin­det sie jeder­mann ohne wei­te­ren Umset­zungs­akt. Es bedarf also ins­be­son­de­re kei­ner wei­te­ren Ver­bots­ver­fü­gung oder eines sons­ti­gen Verwaltungsakts.

Die Ver­ord­nung gibt eine Lis­te an Sen­dern vor, die von den Sper­ren betrof­fen sind. Dies sind RT – Rus­sia Today Eng­lish, RT – Rus­sia Today UK, RT – Rus­sia Today Ger­ma­ny, RT – Rus­sia Today France, RT – Rus­sia Today Spa­nish und Sput­nik. Im Kern wer­den die Sper­ren durch fol­gen­de Ver­bots­vor­schrift in Art. 2f Abs. 1 VO (EU) 2022/350 vorgesehen:

Es ist den Betrei­bern ver­bo­ten, Inhal­te durch die in Anhang XV auf­ge­führ­ten juris­ti­schen Per­so­nen, Orga­ni­sa­tio­nen oder Ein­rich­tun­gen zu sen­den oder deren Sen­dung zu ermög­li­chen, zu erleich­tern oder auf ande­re Wei­se dazu bei­zu­tra­gen, auch durch die Über­tra­gung oder Ver­brei­tung über Kabel, Satel­lit, IP-TV, Inter­net­dienst­leis­ter, Inter­net-Video-Sha­ring-Platt­for­men oder ‑Anwen­dun­gen, unab­hän­gig davon, ob sie neu oder vor­in­stal­liert sind​.Art. 2f Abs. 1 VO (EU) 2022/350

Mit die­sem Ver­bot wer­den damit unter ande­rem Inter­net­zu­gangs­an­bie­ter ange­hal­ten, die­se beson­de­ren Inhal­te netz­weit zu sper­ren. Die erfor­der­li­chen Netz­ma­nage­ment­maß­nah­men sind dabei gemäß Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 lit. a VO (EU) 2015/2120 (TSM-VO) gerecht­fer­tigt. Denn die­se sieht eine Aus­nah­me vor, wenn eine Maß­nah­me durch Euro­pa­recht vor­ge­schrie­ben wird, was hier durch die neue Sank­ti­ons­ver­ord­nung erfolgt.

Die­se Ver­ord­nung dürf­te auch die der­zei­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung von Rus­sia Today um eine Rund­funk­li­zenz in Deutsch­land über­steu­ern. Denn mit Art. 2f Abs. 2 VO (EU) 2022/350 wer­den alle Rund­funk­li­zen­zen oder ‑geneh­mi­gun­gen, Über­tra­gungs- und Ver­brei­tungs­ver­ein­ba­run­gen aus­ge­setzt. Damit könn­te also nicht ein­mal im Ver­wal­tungs­rechts­schutz die Lizenz ent­ge­gen höher­ran­gi­gem Euro­pa­recht gewährt werden.

Art. 12 sieht zusätz­lich ein Umge­hungs­ver­bot vor:

Es ist ver­bo­ten, wis­sent­lich und vor­sätz­lich an Akti­vi­tä­ten teil­zu­neh­men, mit denen die Umge­hung der in die­ser Ver­ord­nung fest­ge­leg­ten Ver­bo­te bezweckt oder bewirkt wird, ein­schließ­lich durch Han­deln anstel­le einer der in Arti­kel 2e Absatz 3 oder Arti­kel 2f, Arti­kel 5, Arti­kel 5a, Arti­kel 5b, Arti­kel 5e, Arti­kel 5f oder Arti­kel 5h genann­ten natür­li­chen oder juris­ti­schen Per­so­nen, Orga­ni­sa­tio­nen oder Ein­rich­tun­gen, oder unter Inan­spruch­nah­me der Aus­nah­men nach Arti­kel 2e Absatz 4, Arti­kel 5 Absatz 6, Arti­kel 5a Absatz 2, Arti­kel 5a Absatz 5, Arti­kel 5b Absatz 2, Arti­kel 5b Absatz 3, Arti­kel 5e Absatz 2 oder Arti­kel 5f Absatz 2 zu ihren Guns​ten​.Art. 12 VO (EU) 2022/350

Dies betrifft unter ande­rem Maß­nah­men durch Unterstützer:innen, indem die gesperr­ten Inhal­te auf ande­ren Wegen wei­ter gelei­tet wer­den. Also auch über Mes­sa­ger-Diens­te wie Tele­gram dür­fen die Inhal­te nicht durch Pri­vat­per­so­nen ver­brei­tet wer­den. Dar­über hin­aus ist Tele­gram bereits unmit­tel­bar selbst durch die Ver­ord­nung gebunden.

Zur Begrün­dung die­ser neu­en Ver­ord­nung und der dar­in ent­hal­ten­den Ver­bo­te sind die Erwä­gungs­grün­de recht ein­dring­lich, hier mit mei­nen Hervorhebungen:

[4] Der Euro­päi­sche Rat hat in sei­nen Schluss­fol­ge­run­gen vom 24. Febru­ar 2022 die grund­lo­se und unge­recht­fer­tig­te mili­tä­ri­sche Aggres­si­on der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on gegen die Ukrai­ne aufs Schärfs­te ver­ur­teilt. Mit sei­nen rechts­wid­ri­gen mili­tä­ri­schen Hand­lun­gen ver­stößt Russ­land mas­siv gegen das Völ­ker­recht und die Grund­sät­ze der Char­ta der Ver­ein­ten Natio­nen und gefähr­det die Sicher­heit und Sta­bi­li­tät Euro­pas und der Welt. Der Euro­päi­sche Rat hat dazu auf­ge­ru­fen, drin­gend ein wei­te­res Paket von gegen Ein­zel­per­so­nen gerich­te­ten und wirt­schaft­li­chen Sank­tio­nen aus­zu­ar­bei­ten. Der Euro­päi­sche Rat hat Russ­land und die von Russ­land unter­stütz­ten bewaff­ne­ten Ver­bän­de auf­ge­ru­fen, ihre Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gne einzustellen.

[5] In sei­nen Schluss­fol­ge­run­gen vom 10. Mai 2021 beton­te der Rat, dass die Wider­stands­fä­hig­keit der Uni­on und der Mit­glied­staa­ten sowie ihre Fähig­keit zur Abwehr hybri­der Bedro­hun­gen, ein­schließ­lich Des­in­for­ma­ti­on, wei­ter gestärkt wer­den müs­sen, wobei die koor­di­nier­te und inte­grier­te Nut­zung bestehen­der und mög­li­cher neu­er Instru­men­te zur Abwehr hybri­der Bedro­hun­gen auf Ebe­ne der Uni­on und der Mit­glied­staa­ten sowie mög­li­che Reak­tio­nen im Bereich hybri­der Bedro­hun­gen, unter ande­rem auf aus­län­di­sche Ein­mi­schung und Ein­fluss­nah­me, die Prä­ven­tiv­maß­nah­men sowie die Auf­er­le­gung von Kos­ten für feind­se­li­ge staat­li­che und nicht­staat­li­che Akteu­re umfas­sen kön­nen, sicher­ge­stellt wer­den müssen.

[6] Die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on hat eine sys­te­ma­ti­sche inter­na­tio­na­le Kam­pa­gne der Medi­en­ma­ni­pu­la­ti­on und Ver­fäl­schung von Fak­ten unter­nom­men, um ihre Stra­te­gie der Desta­bi­li­sie­rung ihrer Nach­bar­län­der und der Uni­on und ihrer Mit­glied­staa­ten zu inten­si­vie­ren. Ins­be­son­de­re rich­te­te sich die Pro­pa­gan­da wie­der­holt und nach­drück­lich gegen euro­päi­sche poli­ti­sche Par­tei­en, ins­be­son­de­re wäh­rend der Wah­len, sowie gegen die Zivil­ge­sell­schaft, Asyl­su­chen­de, rus­si­sche eth­ni­sche Min­der­hei­ten, geschlecht­li­che Min­der­hei­ten und das Funk­tio­nie­ren demo­kra­ti­scher Insti­tu­tio­nen in der Uni­on und ihren Mitgliedstaaten.

[7] Um ihre Aggres­sio­nen gegen die Ukrai­ne zu recht­fer­ti­gen und zu unter­stüt­zen, betreibt die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on kon­ti­nu­ier­li­che und kon­zer­tier­te Pro­pa­gan­da­ak­tio­nen, die sich gegen die Zivil­ge­sell­schaft der Uni­on und ihrer Nach­bar­län­der rich­ten und die Fak­ten dras­tisch ver­zer­ren und manipulieren.

[8] Die­se Pro­pa­gan­da­ak­tio­nen wur­den über eine Rei­he von Medi­en unter stän­di­ger direk­ter oder indi­rek­ter Kon­trol­le der Füh­rung der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on ver­brei­tet. Sol­che Maß­nah­men stel­len eine erheb­li­che und unmit­tel­ba­re Bedro­hung für die öffent­li­che Ord­nung und Sicher­heit der Uni­on dar.

[9] Die­se Medi­en spie­len eine maß­geb­li­che Rol­le, um die Aggres­sio­nen gegen die Ukrai­ne mit Nach­druck vor­an­zu­trei­ben und zu unter­stüt­zen und die Nach­bar­län­der der Ukrai­ne zu destabilisieren.

Es ist also nicht etwa erst oder allein der Angriffs­krieg Russ­lands in der Ukrai­ne, der zu die­sem Schritt geführt hat. Schon die zahl­rei­chen Akti­vi­tä­ten die­ser Medi­en in Euro­pa in den letz­ten Jah­ren stel­len den Anlass für Ihre Sper­rung dar.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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