Vor einiger Weile hat der BGH in zwei Angelegenheiten entschieden, die die Sperrung von Beiträgen und Konten durch Facebook betrafen, die im Zusammenhang mit Hassrede stehen. Die Entscheidung ebnet den Weg für ein strikteres Vorgehen gegenüber Hassrede, bewussten Falschnachrichten und Desinformation.
Unwirksamkeit der bisherigen Facebook-Nutzungsbedingungen
Die Entscheidung ist nicht allein wegen ihres Ergebnisses interessant. Denn in beiden Fällen konnten sich die beiden Konto-Inhaber durchsetzen. Diese hatten jeweils Kommentare veröffentlicht, die zwar strafrechtlich unbedenklich waren und von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Sie waren jedoch fremdenfeindlich und lassen sich ohne weiteres als Hassrede bezeichnen. Jene ist aber nach Facebooks Nutzungsbedingungen verboten. Facebook löschte diese Beiträge und sperrte die beiden Kontos vorübergehend.
Zu Unrecht, wie der BGH feststellte. Die Nutzer haben einen Anspruch auf Freischaltung ihrer Beiträge und auf Unterlassung der Löschung bzw. Sperre. Denn die Regelungen in den Nutzungsbedingungen seien unwirksam – jedenfalls soweit, wie Facebook nicht gleichzeitig dem jeweiligen Nutzer das Recht zur Stellungnahme einräume. Denn diese verstoßen gegen § 307 Abs. 1 BGB. Hierzu führt der BGH in der Pressemitteilung aus:
Bei der Prüfung, ob eine Klausel unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, bedarf es einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen. Dabei sind vorliegend die kollidierenden Grundrechte der Parteien – auf Seiten der Nutzer die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf Seiten der Beklagten vor allem die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG – zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Diese Abwägung ergibt, dass die Beklagte grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks die Einhaltung bestimmter Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben (z.B. Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung) hinausgehen. Sie darf sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Beiträge zu entfernen und das betreffende Nutzerkonto zu sperren. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechte und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt.
Daraus lassen sich zwei wichtige Aussagen entnehmen:
- Zwischen Facebook und den Nutzern sind die kollidierenden Grundrechte abzuwägen
- Eine Löschung oder Sperre ohne eine ausreichende Erklärung oder Möglichkeit zur Stellungnahme ist in jedem Fall unzulässig
Kollidierende Grundrechte zwischen Privaten
Die erste Aussage ist dabei nicht weiter überraschend. Denn bereits zuvor hatte der BGH in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass bei Sonderkonstellationen eine weitreichende Anwendung der Grundrechte auch im Verhältnis zwischen Privaten möglich ist. Eine solche kann sich zum einen etwa aus dem Kartellrecht ergeben. Zum anderen können gerade Privatnutzer einen verfassungsunmittelbaren Teilhabeanspruch haben, wie das BVerfG vor wenigen Jahren in seinem Beschluss zum Stadionverbot festgestellt hatte. Werden Meinungsäußerungen durch Facebook gelöscht oder sogar ein Konto gesperrt, kann dies einem derart intensiven Eingriff in den Teilhabeanspruch nahekommen.
Allerdings gelten dabei die Grundrechte nicht nur zugunsten des Betroffenen. Denn auch das private Unternehmen Facebook kann sich auf Grundreche berufen. Hier liegt der eigentliche Mehrwert dieser Entscheidung für die Entwicklung der Dogmatik, der sich in diesen zwei Aussagen zuspitzen lässt:
- Bei der Abwägung der kollidierenden Grundrechte sind auch die Grundrechte des verpflichteten Unternehmens abzuwägen, hier der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG
- Im Rahmen der Berufsausübungsfreiheit ist Facebook berechtigt, eigene Kommunikationsstandards zu definieren und vorzugeben, die über das Maß hinausgehen, was die allgemeine Rechtsordnung erlaubt
Zur unternehmerischen Gestaltungsfreiheit
Damit liefert der BGH eine Antwort auf die Frage, wann eine Plattform wie Facebook in die Meinungsäußerungsfreiheit eingreifen dürfte. Kommt dies erst bei nachgewiesen strafrechtlich relevanten oder ehrverletzenden Äußerungen in Betracht, gelten gar die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung? Oder aber – wie jetzt erkannt – darf Facebook diese Grundsätze zumindest teilweise selbst definieren?
Es sprach bereits vorher mehr für letzteres. Denn Facebook ist grundsätzlich in der Ausgestaltung seiner Geschäftsmodelle, Abläufe und der dafür geltenden Bedingungen frei. Erst die allgemeine Rechtsordnung setzt dieser unternehmerischen Gestaltungsfreiheit Schranken. Das lässt sich auf sehr banale Weise bereits damit erklären, dass und wie Facebook überhaupt seine Leistungen als soziales Netzwerk ausgestaltet. Eine dieser Schranken der Rechtsordnung ist die AGB-Kontrolle, eine andere das kartellrechtliche Missbrauchsverbot.
Werden diese Schranken angewandt, müssen sie verfassungskonform ausgelegt werden. Im Rahmen dieser Auslegung können die Grundrechte mittelbar im Verhältnis zwischen Privatpersonen gelten, also nicht mehr allein als Abwehrrechte der Menschen gegenüber dem Staat. Sie stellen dann sogenannte objektive Wertentscheidungen in Form grundsätzlicher Gerechtigkeitserwägungen dar. Und gerade über diesen letzten Gedanken können sie dann auch für das Verhältnis zwischen Facebook und seinen Nutzern zu einer Lösung beitragen. Facebook wird damit aber nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden.
Es ist in diesem Fall gut nachvollziehbar, dass die Betroffenen von einer Lösch- oder Sperrentscheidung frühzeitig Kenntnis erlangen und sich ausreichend zur Wehr setzen können müssen. Andererseits ist es auch verständlich, dass eine Plattform – selbst eine wie Facebook – nicht jedes Verhalten dulden muss. Im Kartellrecht gibt es deshalb bei der Geschäftsverweigerung den Einwand der sachlichen Rechtfertigung. Liegt eine solche vor, muss das marktbeherrschende Unternehmen keinem Kontrahierungszwang nachkommen. Nicht mehr dulden müsste ein Unternehmen etwa, wenn sein Angebot beschädigt wird. Diesen Einwand kann man nunmehr auch in der aktuellen Entscheidung für das allgemeine Äußerungs- und Zivilrecht entnehmen.
Welche Folgen kann die Entscheidung haben?
Facebook hat die beiden Fälle verloren und auch die weiteren Aussagen des BGH dürften für das Unternehmen eine größere Last darstellen. Allerdings enthalten sie auch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Gestaltung der eigenen Geschäftsbedingungen und des eigenen Angebots. Denn soweit das Unternehmen sich an die Vorgaben der allgemeinen objektiven Wertentscheidungen aus den Grundrechten hält, hat es weitreichende Spielräume. Das ist auch sinnvoll, denn über solche werden Unternehmen im Wirtschaftsleben aktiv. So kann eine Plattform sich etwa darüber qualitativ im Wettbewerb abheben.
Was bedeutet dieser letzte Satz? Ein Netzwerk baut sein Angebot auf die Interaktion und Kommunikation seiner Teilnehmer auf. Die Qualität des Netzwerks selbst hängt also wesentlich davon ab, wie gut die Teilnehmer ihre Erlebnisse bei der Interaktion und Kommunikation auf ihr empfinden. Nicht mehr gut empfinden einige von ihnen sicherlich frauenfeindliche, homophobe, fremdenfeindliche oder rassistische Äußerungen. Dies kann vielmehr zu einem Nachlassen der Teilnahme ganzer Menschengruppen führen, ohne dass die Äußerungen bereits strafbar oder aus welchen Gründen auch immer verboten sind. Das Angebot der Plattform wird für sie dann unattraktiver. Wer also etwa sich fremdenfeindlich auf einer Plattform äußert, der macht damit selbst zu einem nur geringen, aber erheblichen Teil deren Angebot für davon betroffene Menschen unattraktiv. Das müsste selbst eine monopolistische Plattform nicht mehr dulden.
Die Schwierigkeit wird jetzt allerdings für derartige Plattformen darin bestehen, weiterhin zulässige Nutzungsbedingungen zu gestalten. Es ist dabei durchaus denkbar, dass sie sich auf den Mindeststandard beziehen und dann doch nur das in ihren Geschäftsbedingungen verbieten, was bereits nach der allgemeinen Rechtsordnung ausdrücklich verboten wäre. Damit hätte der BGH dem Schutz Betroffener einen Bärendienst erwiesen. Auf der anderen Seite könnte auch genügend Druck bestehen, um den Plattformen hier ein gesteigertes Maß an Qualität abzuverlangen. Dies könnte etwa darauf bauen, dass Nutzer und Nutzerinnen sich darauf verlassen können, von dem sozialen Netzwerk ihrer Wahl vor Hatespeech geschützt zu werden.