Vor einiger Zeit hatte der EuGH mit seiner Wikingerhof-Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit bei kartellrechtlichen Klagen entschieden, wenn zwischen den Parteien auch ein Vertragsverhältnis besteht. Demnach gelte auch in solchen Fällen der Anknüpfungspunkt der unerlaubten Handlung, wenn die Auslegung eines Vertrages nicht unerlässlich ist.
Die Entscheidung schafft einige Klarheit: stützt sich eine Klage etwa auf das geltende Kartellrecht, so handelt es sich dabei eindeutig um Recht der unerlaubten Handlung. Bei unerlaubten Handlungen gilt dabei das Erfolgsortprinzip. Es kann an dem Ort geklagt werden, an dem der Erfolg der unerlaubten Handlung eintritt. Das ist bei missbräuchlichen Handlungen digitaler Plattformen häufig jeder Ort des Marktgeschehens.
Der Kollege Thomas Thiede hat in seiner auch im Übrigen sehr lesenswerten Analyse der Wikingerhof-Entscheidung zutreffend zusammengefasst, dass die sogenannte Brogsitter-Defence damit abgeschafft ist. Dem stimme ich in rechtlicher Hinsicht völlig zu.
Und dennoch halten sich in der Praxis noch die Einwände aus der älteren Brogsitter-Entscheidung des EuGH. Danach verdränge der Vertragsgerichtsstand den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung. Sobald also auch eine vertragliche Grundlage für eine Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien besteht, könnte der Einwand erhoben werden, dass es auch auf die Auslegung dieses Vertrages ankommt. Ein in Deutschland angerufenes Gericht könnte daraufhin seine internationale Zuständigkeit ablehnen.
Das ist in der Praxis nicht fernliegend. Denn etwa im Bereich digitaler Plattformen machen betroffene Unternehmen regelmäßig kartellrechtliche Unterlassungsansprüche gegen eine Plattform geltend, mit der sie gleichzeitig eine vertragliche Geschäftsbeziehung haben. Das kann etwa der Fall sein, wenn sie durch die Plattform gesperrt wurden und dafür keine sachliche Rechtfertigung besteht. Dann ist eine derartige Sperre kartellrechtlich – also deliktisch – unzulässig und zwar ohne dass es auf die Auslegung eines Vertrages ankommt. Dafür gilt der internationale Gerichtsstand der unerlaubten Handlung aus Art. 7 Nr. 2 EuGGVO. Ein Unternehmen mit Sitz im Ausland kann dann dennoch in Deutschland verklagt werden.
Warum ist das so? Die kartellrechtlichen Verbote stellen eigenständige Verbote dar, die selbstständig nach ihrem Schutzzweck auszulegen sind. Diese selbstständige Auslegung wird nicht durch einen Vertrag oder die Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung ersetzt. Letzteres erst recht nicht, wenn die Geschäftsbeziehung maßgeblich von dem marktbeherrschenden Unternehmen selbst definiert wird, das als solches selbst mitsamt seinen Verträgen der Marktmachtmissbrauchskontrolle unterworfen ist. Die betroffenen Unternehmen haben regelmäßig keine Alternative gegenüber den Geschäftsbeziehungen eines marktbeherrschenden Unternehmens. Gerade die vertragliche Gestaltung wird jedoch durch das deliktsrechtliche Marktmachtmissbrauchsverbots eingeschränkt.
Um den Brogsitter-Einwand zu entkräften, macht es trotz der eindeutigen Rechtsprechung deshalb Sinn, in kartellrechtlichen Klage- oder Antragschriften mit internationalem Bezug gesondert darauf hinzuweisen, dass die Auslegung eines Vertrages nicht unerlässlich ist und dass keine vertraglichen Ansprüche durchgesetzt werden.