Tipping in the name

Seit Janu­ar 2021 gibt es den soge­nann­ten Tip­ping-Para­gra­fen. Es han­delt sich dabei um fol­gen­den ein­ge­füg­ten § 20 Abs. 3a GWB:

Eine unbil­li­ge Behin­de­rung im Sin­ne des Absat­zes 3 Satz 1 liegt auch vor, wenn ein Unter­neh­men mit über­le­ge­ner Markt­macht auf einem Markt im Sin­ne des § 18 Absatz 3a die eigen­stän­di­ge Erzie­lung von Netz­werk­ef­fek­ten durch Wett­be­wer­ber behin­dert und hier­durch die ernst­li­che Gefahr begrün­det, dass der Leis­tungs­wett­be­werb in nicht uner­heb­li­chem Maße ein­ge­schränkt wird.

Die Vor­schrift wur­de im Zusam­men­hang mit der 10. GWB-Novel­le ein­ge­fügt und soll außer­halb des Markt­macht­miss­brauchs­ver­bots Hand­lun­gen auf­grei­fen, die beson­ders wett­be­werbs­schäd­lich sind. Dies erklärt auch die sys­te­ma­ti­sche Ein­bin­dung in § 20 GWB, der seit jeher das Miss­brauchs­ver­bot für Fäl­le unter­halb der Markt­be­herr­schung eröff­ne­te. Sie knüpft an § 20 Abs. 3 GWB an, der auf die über­le­ge­ne Markt­macht gegen­über Wett­be­wer­bern abstellt und sich anders als § 20 Abs. 1 GWB auf das hori­zon­ta­le Ver­hält­nis bezieht.

In der Rege­lung wird eine Fall­grup­pe ergänzt, wann ein Markt­ver­hal­ten eines Unter­neh­mens mit über­le­ge­ner Markt­macht eine unbil­li­ge Behin­de­rung dar­stellt. Das Unter­neh­men muss danach auf einem Markt im Sin­ne des § 18 Abs. 3a GWB die eigen­stän­di­ge Erzie­lung von Netz­werk­ef­fek­ten durch Wett­be­wer­ber behin­dern und hier­durch die ernst­li­che Gefahr begrün­den, dass der Leis­tungs­wett­be­werb in nicht uner­heb­li­chem Maße ein­ge­schränkt wird. Hier­zu die zusätz­li­chen Tat­be­stands­merk­ma­le noch ein­mal im Detail:

  1. Behin­de­rung der eigen­stän­di­gen Erzie­lung von Netz­werk­ef­fek­ten durch Wett­be­wer­ber: Hier­bei sind grund­sätz­lich alle Maß­nah­men erfasst, die sich zu einer der­ar­ti­gen Behin­de­rung eig­nen. Das dürf­te sich aus der Anknüp­fung an § 20 Abs. 3 GWB ergeben.
  2. Auf einem Markt im Sin­ne des § 18 Abs. 3a GWB: Die Behin­de­rung muss sich auf die­sem Markt erge­ben, nicht aber das behin­dern­de Unter­neh­men muss zwin­gend (schon) selbst auf die­sem tätig sein. In der Pra­xis ergibt sich dies aber dar­aus, dass der Behin­de­rungs­tat­be­stand im hori­zon­ta­len Ver­hält­nis anwend­bar ist. Ein Wett­be­wer­ber, der auf einem Markt im Sin­ne des § 18 Abs. 3a GWB behin­dert wird, wird aber regel­mä­ßig dann ein ähn­li­ches Geschäfts­mo­dell wie das ihn behin­dern­de Unter­neh­men haben. Dass letz­te­res nicht selbst auf die­sem Markt tätig sein muss, hat auch einen wett­be­werbs­po­li­ti­schen Sinn: Erfasst sein kön­nen damit näm­lich auch aggres­si­ve Maß­nah­men eines Unter­neh­mens, das erst durch die­se in den Markt ein­tritt. Ob die­ses damit aber auf dem Markt tätig ist, ist für eine Wett­be­werbs­be­schrän­kung nicht erheblich.
  3. Begrün­dung der ernst­li­chen Gefahr, dass der Leis­tungs­wett­be­werb in nicht uner­heb­li­chem Maße ein­ge­schränkt wird: Damit wird deut­lich, dass es sich um einen Gefähr­dungs­tat­be­stand han­delt. In die­sem Zusam­men­hang ist auch das – etwas sper­ri­ge – Merk­mal des Leis­tungs­wett­be­werbs zu lesen. Man kann es als beson­de­re Abwä­gungs­stu­fe lesen, die im Zusam­men­hang mit den Netz­werk­ef­fek­ten steht. Denn wenn ein betrof­fe­nes Unter­neh­men die­se nicht mehr aus eige­ner Leis­tung her­aus erzie­len kann, dann wird damit der Leis­tungs­wett­be­werb erheb­lich gefähr­det. Der Markt muss dafür noch nicht umge­kippt sein, son­dern es reicht das Dro­hen aus.

Die Vor­schrift hat sehr schnell eine Anwen­dung in der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen zwei Online-Immo­bi­li­en­ver­mitt­lungs­platt­for­men gefun­den. Dort hat­te ein Unter­neh­men bestimm­te Rabatt-Gestal­tun­gen ver­wen­det, die sich auf die Mög­lich­keit zur par­al­le­len Nut­zung meh­re­rer Platt­for­men aus­wirk­te. Die Gerich­te sahen hier­in ein­heit­lich einen Ver­stoß gegen § 20 Abs. 3a GWB (LG Ber­lin, Urt. v. 8.4.2021 – 16 O 73/21 Kart; LG Ber­lin, Urt. v. 14.12.2021 – 15 O 290/21 Kart; LG Ber­lin, Urt. v. 24.2.2022 – 16 O 82/22 Kart; KG Ber­lin, Beschl. v. 11.2.2022, U 4/21 Kart, NZKart 2022, 215).

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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