Das Bundeskartellamt hat letzte Woche seine vorläufige rechtliche Einschätzung zu Amazons aktuellen Preiskontrollmechanismen mitgeteilt. Dies geht aus einer Pressemitteilung der Behörde hervor. Nach Einschätzung der Behörde könnte ein Missbrauch zum einen im Anwendungsbereich des § 19a Abs. 2 GWB sowie zum anderen im Bereich des allgemeinen Marktmachtmissbrauchsverbots vorliegen.
Dieser Schritt markiert noch keine endgültige Entscheidung. Amazon kann zu dieser Mitteilung jetzt Stellung nehmen. Eine einvernehmliche Beendigung des Verfahrens kommt immer noch in Betracht, etwa durch Zusagen. Allerdings macht das BKartA seine Stoßrichtung sehr deutlich, hier kurz umrissen:
Anlass sind die von Amazon praktizierten Preiskontrollmechanismen. Mit diesen gibt Amazon Preisgrenzen vor, die Händler auf der Plattform nicht überschreiten sollen. Zu hohe oder fehlerhafte Angebote aus Sicht von Amazon führen zu einer Entfernung des jeweiligen Angebots oder dem Ausschluss von der Buy Box. Die Buy Box stellt die besondere Funktion für die Sichtbarkeit der Händler gegenüber den Amazon-Endnutzern dar. Händler ohne Buy Box sind also für Endnutzer eingeschränkt sichtbar.
Wettbewerblich kritisch wird dies durch zwei weitere Umstände: Erstens vereint Amazon nach der Pressemitteilung des BKartA rund 60 % des Umsatzes auf sich, der im deutschen Onlinehandel mit Waren erzielt wird. Diese Zahl ist nicht überraschend. Das Bundeskartellamt hatte den Plattform-Betreiber deshalb auch schon mit einer Feststellung gemäß § 19a Abs. 1 GWB als Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb benannt. Damit waren die besonderen Eingriffsbefugnisse nach § 19a Abs. 2 GWB eröffnet. Zweitens ist Amazon auf seiner eigenen Plattform auch mit Eigenvertrieb als Wettbewerber gegenüber den Händlern tätig. Letzteres eröffnet der bereits marktmächtigen Plattform erheblichen Einfluss gegenüber den abhängigen Händlern.
Das Bundeskartellamt umreißt seine kartellrechtlichen Kritikpunkte anhang der drei Aspekte Einschränkung der Sichtbarkeit, Konzentration und Koordination, die ich hier kurz erläutere:
- Einschränkung der Sichtbarkeit: Die Kriterien zur Preiskontrolle könnten ohne objektive Grundlage erfolgen und von Amazon beliebig festgelegt werden. Es fehle an Transparenz für die Händler. Zudem wechselten die Preisgrenzen häufig und seien nicht vorhersehbar. Für die Händler stellt dies ein willkürliches Verhalten ähnlich der missbräuchlichen Account-Sperre dar. Denn grundsätzlich müssen die Händler auch nach oben hin in ihrer Preisgestaltung frei bleiben. Allein ein zu hoch erachteter Preis stellt keine sachliche Rechtfertigung für eine Einschränkung der Sichtbarkeit dar.
- Konzentration: Die Händler könnten aufgrund der Preiskontrolle ihre Kosten nicht mehr decken. Deshalb bestehe die Gefahr, dass sie vom Marktlatz verdrängt werden. Dies wiederum ist aber aufgrund der besonders hohen wettbewerblichen Relevanz von Amazon für den Onlinehandel keine Option, da die Händler dann vollständig aus dem Markt verdrängt werden könnten. Im Zusammenhang mit dem durch Amazon aufgebauten Eigenvertrieb eröffnet dies dem Unternehmen ein erhebliches Druckpotenzial.
- Koordination: Das BKartA nimmt zusätzlich an, dass Amazon eine einheitliche Preisstrategie zulasten des übrigen Onlinehandels verfolgt. Entlang dieser eigenen Preisstrategie würden die Händlerpreise koordiniert. Preisvorstöße im Onlinehandel würden damit ausgeschlossen.
Bemerkenswert an diesem Vorgehen ist zunächst, dass sich der Vorwurf eines missbräuchlichen Verhaltens auf Preisobergrenzen bezieht und nicht auf Mindestreise. Das ist insofern neu, als dass weithin die Annahme gilt, niedrige Preise nützen den Verbrauchern und entsprächen dem Wettbewerb. Hier aber scheint die Behörde erkannt zu haben, dass der Plattformbetreiber den Preisdruck nach unten auch als Mechanismus nutzen kann, um Wettbewerb zu seinen Gunsten zu beschränken. Verfolgt die Behörde diesen Gedanken weiter, kann das erhebliche positive Auswirkungen für Händler haben.
Weiterhin fällt die Grundlage der Daten auf, anhand derer nach den Erkenntnissen des BKartA die Preiskontrolle erfolgt: Es handelt sich demnach nicht nur um die Preise der Händler auf dem Amazon-Marktlatz selbst. Laut der Pressemitteilung nutze Amazon verschiedene Algorithmen und statistische Modelle, die “auf unterschiedliche Preise und Preisbestandteile von aktuellen oder früheren Angeboten auf Amazon und von externen Wettbewerbern zurückgreifen und dynamische, wechselnde Preisobergrenzen für Händlerangebote berechnen”. Dieser von mir hervorgehobene Umstand ist aus meiner Sicht besonders relevant. Denn die Behörde hat damit erkannt, dass Amazon nicht nur eine wettbewerbliche Preiskontrolle auf seiner eigenen Plattform vornimmt, sondern darüber hinaus im gesamten Wettbewerb. Unklar ist bei der Kommunikation über die gewünschten niedrigen Preise, ob diese auf der Plattform oder darüber hinaus gelten sollen. In der Wirkung aber ist das Verhalten mit Meistbegünstigungsklauseln vergleichbar.
Wie geht es weiter? Die Behörde ermittelt im Zusammenhang mit einem Verfahren nach § 19a Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift eröffnet ihr weitergehende Befugnisse gegenüber bestimmten Unternehmen, zu denen Amazon auch gehört. Sie kann recht restriktiv vorgehen. Daneben kann sie die Vorwürfe ebenso im Rahmen eines herkömmlichen Kartellverwaltungsverfahrens mit einer allgemeinen kartellbehördlichen Verfügung abstellen. Amazon könnte grundsätzlich noch Einwände gegen ein Vorgehen des BKartA erheben und sein Verhalten erklären. Sofern dies erfolgreich gelingt, könnte eine Verfügung unterbleiben. Alternativ könnte Amazon eigenständig und proaktiv Abhilfemaßnahmen ergreifen und anbieten. Auf diese Weise kann ein derartiges Verfahren einvernehmlich beendet werden.