Die 11. GWB-Novelle soll kommen und zwar unter dem Titel „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“. Anders als das sogenannte „Wettbewerbsdigitalisierungsgesetz“, aka 10. GWB-Novelle macht diese Bezeichnung durchaus Sinn, soll doch immerhin mehr Wettbewerb durchgesetzt und nicht „digitalisiert“ werden. Schon recht schnell nach der letzten GWB-Novelle nimmt das BMWK also wieder den Faden auf und legt neue Ideen vor. Dies geht aus einer aktuellen Pressemitteilung des Ministeriums hervor.
Hier ein kurzer selektiver Überblick über die Pläne:
- Neue Eingriffsinstrumente für das BKartA im Anschluss an Sektoruntersuchungen
- Erleichterung der Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen
- Durchsetzung des Digital Markets Act
Die Pläne sind ambitioniert und kurzfristig. Denn schon in der Pressemitteilung wird die weitere Agenda für die folgende 12. GWB-Novelle vorgestellt, die noch während der aktuellen Legislaturperiode kommen soll. Darin sollen unter anderem die Aspekte Rechtssicherheit bei Kooperationen für mehr Nachhaltigkeit und ein stärkerer Verbraucherschutz thematisiert werden.
Update vom 3.10.2022: Mittlerweile liegt auch der Referentenentwurf vor.
Maßnahmen im Anschluss an eine Sektoruntersuchung
Bislang dient die Sektoruntersuchung allein dem Zweck des Erkenntnisgewinns. Einige Konkretisierungen der letzten Novellen waren sicher hilfreich. Eigenständige zusätzliche Befugnisse gab es jedoch nicht. Dies steht vor dem Hintergrund, dass das BKartA grundsätzlich immer noch in der Lage ist, die gewonnenen Erkenntnisse in eigenen Kartellverfahren gegen konkrete Unternehmen zu verwerten. Sollten also etwa Verstöße gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV festgestellt werden, so könnten diese separat verfolgt werden. Das Bundeskartellamt hatte jedoch in mehreren Sektoruntersuchungen zuletzt erhebliche strukturelle Defizite festgestellt, die ein erhebliches Störungspotenzial für den Wettbewerb haben können, wobei aber kein konkreter Verstoß eines Unternehmens nachweisbar ist. Stellt das BKartA also (verstoßunabhängig) eine Einschränkung des Wettbewerbs in einem Sektor fest, so hatte es bislang keine Möglichkeit, „belebende“ Maßnahmen zu ergreifen.
Das BKartA soll zukünftig im Anschluss an eine Sektoruntersuchung konkrete Maßnahmen zur Abstellung festgestellter erheblicher Wettbewerbsstörungen anordnen können. Als Beispiele führt die Pressemitteilung des Ministeriums folgende Befugnisse für Verpflichtungen auf:
- Etablierung offener Standards
- Gewährung des Zugangs zu Schnittstellen
- Einrichtung eines wirksamen Beschwerdemanagements
- Veränderung der Lieferbeziehungen
- Organisatorische Trennung von Unternehmensbereichen
- Anordnung einer eigentumsrechtlichen Entflechtung
Während die ersten drei Beispiele noch eher offen formuliert sind, können die weiteren drei Vorhaben direkt auf die unternehmerische Struktur, das Geschäftsmodell und tief in die Selbstbestimmung abzielen. Derartige Eingriffe zu rechtfertigen, dürfte nur bei recht strengen Voraussetzungen möglich sein. Insbesondere der letzte Punkt, auch wenn er als ultima ratio gedacht ist, wird in der Praxis zu langen Auseinandersetzungen führen.
Organisatorische Trennungen sind allerdings nicht einmal neu und überraschend. Etwa in der Telekommunikationsregulierung sind funktionale Trennungen üblich. Derartige Trennungen von Geschäftsbereichen können helfen, Selbstbevorzugungen zu vermeiden, die besonders bei hybriden Plattformen auftreten können – also wenn der Plattformbetreiber gleichzeitig auf der Ebene seiner gewerblichen Nutzer direkt mit diesen durch das Angebot der gleichen Waren oder Leistungen konkurriert.
Offene Standards oder Zugänge zu etablieren bleibt grundsätzlich in der Freiheit des Wettbewerbs. Allein bei besonderen kartellrechtlichen Hürden (z.B. in der Folge einer missbräuchlichen Zugangsverweigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens) durch ein konkretes Unternehmen ist ein verpflichtender Zugang möglich. Verweigert ein Unternehmen den Zugang oder seine Kooperation in diesen Fällen, so kann es damit den Zugang zum und die Teilhabe am Wettbewerb ausschließen. Das BKartA soll hier die Möglichkeit haben, auf einer vorgelagerten Ebene bereits einzugreifen und den allgemeinen Zugang zum Wettbewerb sicherzustellen.
Ergänzend hierzu soll das BKartA im Anschluss an eine Sektoruntersuchung bestimmte Unternehmen verpflichten können, alle relevanten auf bestimmten Märkten zur Fusionskontrolle anzumelden. Dann würden nicht mehr allein die Aufgreifschwellen gelten. Dies ist in § 39a GWB bislang noch der Fall.
Die neuen Befugnisse sollen dabei zeitlich begrenzt einsetzbar sein. Eine Sektoruntersuchung soll innerhalb eines Zeitraums von maximal 18 Monaten abgeschlossen werden. Der Zeitraum für die Anordnung an deren Ergebnisse gekoppelter Maßnahmen soll auf weitere 18 Monate begrenzt werden.
Erleichterung der Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen
§ 34 GWB sieht bereits jetzt die Möglichkeit des BKartA vor, bei kartellrechtlichen Verstößen die wirtschaftlichen Vorteile eines Unternehmens abzuschöpfen. § 34a GWB erweitert diese Möglichkeit auf die nach § 33 Abs. 4 GWB legitimierten Verbände.
Diese Befugnisse wurden bislang noch nie genutzt. Das BMWK macht hierfür hohe Anforderungen bei der Berechnung des wirtschaftlichen Anteils aus. Zusätzlich müsste das Verschulden der Unternehmen nachgewiesen werden. Letzteres soll abgeschafft werden.
Zukünftig soll eine Vermutung gelten, dass 1 % der Inlandsumsätze mit dem Produkt oder der Dienstleistung, die im Zusammenhang mit einem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß stehen, den Vorteil des Unternehmens ausmachen. Die Formulierung „Vermutung“ legt nahe, dass das Unternehmen diese wiederlegen kann. Offen ist jetzt noch, ob die Behörde auch zulasten des Unternehmens nach oben abweichen kann.
Durchsetzung des Digital Markets Act
Besonders interessant wird der Entwurf auch hinsichtlich seiner Vorschläge für eine Durchsetzung des Digital Markets Act. Der Verordnungsentwurf wurde vor kurzem angenommen. Er sieht grundsätzlich die Durchsetzung durch die Kommission vor, wobei die nationalen Wettbewerbsbehörden unterstützen sollen. Entsprechend sollen mit der 11. GWB-Novelle nun die Voraussetzungen zu einer derartigen Unterstützung geschaffen werden. Dies betrifft das sogenannte public enforcement.
Keine Regelungen trifft dagegen der DMA hinsichtlich des private enforcement, also der Durchsetzung durch betroffene Unternehmen. Hier sollen ergänzende Vorschriften zur gerichtlichen Durchsetzung geschaffen werden.