Die EU-Kommission hat heute bekannt gegeben, dass sie kartellrechtliche Ermittlungen gegenüber dem Plattform-Konzern Apple eingeleitet hat. Beide Kartellverfahren richten sich gegen die Geschäftsbedingungen, die Apple in seiner Plattform führt. Bei dem einen Verfahren geht es um die Bedingungen für den App-Store (zur Pressemitteilung der Kommission); bei dem anderen um die für Apple Pay (zur Pressemitteilung der Kommission). Die Kommission untersucht in beiden Fällen mögliche Verstöße gegen das Verbot des Marktmachtmissbrauchs nach Art. 102 AEUV und das Kartellverbot nach Art. 101 AEUV.
Verfahren gegen den IAP-Zwang
In dem ersten Verfahren geht es vor allem um zwei Bedingungen. Zum ersten werden die Kunden Apples verpflichtet, eine bestimmte apple-interne Schnittstelle kostenpflichtig zu nutzen (In-App Purchase = IAP). Die Kommission meint nach vorläufiger Einschätzung, dass die betroffenen Unternehmen nur wenig Gestaltungsspielräume auf diesen IAP-Zwang hätten. Entweder stellen sie ihre app-internen Abonnement-Geschäftsmodelle ein oder aber sie reichen die hohe IAP-Provision in Form von Aufschlägen an ihre Kunden weiter. Durch die alleinige Kontrolle der IAP-Schnittstelle sei Apple zudem in der Lage, die Kundenbeziehungen der jeweiligen App-Betreiber zu kontrollieren und mehr als diese von den vorhandenen Daten zu profitieren. Die Kommission formuliert dies in ihrer Pressemitteilung so:
Der IAP-Zwang scheint Apple bei Abonnements zudem die volle Kontrolle über die Kundenbeziehungen seiner Wettbewerber zu geben. Den Wettbewerbern werden dadurch wichtige Kundendaten vorenthalten, während Apple wertvolle Daten über die Tätigkeiten und Angebote seiner Wettbewerber erhalten kann.
(Kommission, Pressemitteilung vom 16.6.2020)
Es scheint also auch hier um den Umgang einer Plattform mit den Nutzerdaten zu gehen und zwar weniger über das absolute „Wieviel“, sondern vielmehr das relative Verhältnis der Nutzungsmöglichkeiten. Das bedeutet, nicht die Datenmasse wäre das wettbewerbliche Problem, sondern schlicht die vertraglichen Beziehungen zwischen der Plattform und ihren Nutzern. Erhalten diese weitreichende Möglichkeiten zur Datenauswertung und zur alleinigen Gestaltung und Pflege ihrer Kundenbeziehungen, so könnte dies weniger problematisch sein. Zusätzlich ist eine Überprüfung der Höhe der Provision denkbar. Zum zweiten sollen die App-Betreiber nicht damit werben dürfen, außerhalb der App alternative Kaufoptionen anzubieten, den IAP-Zwang also nicht umgehen können. Anlass der Untersuchung sind die Beschwerden eines großen Musikstreaming-Anbieters sowie eines E‑Book- und Hörbuch-Händlers.
Verfahren gegen Apple Pay
Das andere Verfahren richtet sich gegen die Praktiken Apples im Zusammenhang mit der Einführung der Bezahlschnittstelle Apple Pay. Worum geht es da? Mit Apple Pay wurde in das Betriebssystem eine NFC-Schnittstelle integriert, die für mobile Zahlungen nutzbar ist. Diese Schnittstelle wird ebenso allein von Apple kontrolliert. Alternative Lösungen existieren nicht, sodass Unternehmen auf diese Lösungen angewiesen sind, wenn sie ihren Kunden Zahlungsmöglichkeiten unter Apple-Betriebssystemen anbieten wollen. Damit hat der Plattform-Betreiber wiederum die Möglichkeit, andere Unternehmen auszuschließen. Die Kommission wird hier prüfen, ob diese Praktiken missbräuchlich sind.
In Deutschland haben die Einführung von Apple Pay und die damit zusammenhängenden Geschäftspraktiken letztendlich dazu geführt, dass mit dem § 58a ZAG eine sektorspezifische Zugangsvorschrift aufgenommen wurde. Dieser stellte insbesondere eine Reaktion auf Forderungen zahlreicher Zahlungsdienstleister dar, die sich durch Apple in ihren wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt sahen. Ich hatte die Zusammenhänge damals kurz in einem Interview erläutert, das Sie hier nachlesen können. Diese Vorschrift ist mit einem starken Fokus auf den Vergleich zum Kartellrecht zu lesen. Was ich damit meine, habe ich einmal vor kurzem hier in einem Artikel angerissen. Denn die Vorschrift verpflichtet sogenannte Systemunternehmen zur unverzüglichen Gewährung des Zugangs zu ihren technischen Infrastrukturen. Auch wenn dieser Begriff auf den ersten Blick etwas unbestimmt ist – im Vergleich zum Kartellrecht ist dies noch gar nichts.
Was meine ich mit dem letzten Satz? Sollte die Kommission ihre Untersuchungen weiterhin auf einen möglichen Verstoß gegen Art. 102 AEUV stützen, müssten zahlreiche kartellrechtliche Sonderfragen beantwortet werden, die im Vergleich zu der Anwendung des sektorspezifischen Zugangsanspruchs aus § 58a ZAG sehr umfangreich sind. So müsste zunächst eine marktbeherrschende Stellung des Unternehmens Apple festgestellt werden, die dieses missbräuchlich ausgenutzt hat. Auch was ein Missbrauch an dieser Stelle wäre, müsste konkret und umfangreich untersucht werden. Damit zeigt sich ein klarer Vorteil einer sektorspezifischen Zugangsvorschrift: Sie ist punktueller, schneller umsetzbar und regelmäßig effektiver. Letzteres noch einmal mehr deshalb, weil sie einen spezifischen Zweck hat, der auf die Abstellung eines konkret vorab geregelten Verhaltens abzielt. Das allgemeine Kartellrecht ermöglicht zwar grundsätzlich auch die Anordnung sogenannter Geschäftsabschlusszwänge oder Zwangslizenzen. Diese müssten jedoch anhand der sehr offenen Regeln des Kartellrechts durchgesetzt werden.
Wie geht es jetzt weiter mit den Kartellverfahren?
Die Kommission hat heute zunächst nur mitgeteilt, dass sie die Verfahren gegenüber Apple förmlich eingeleitet hat. Die Aussagen über mögliche Verstöße sind lediglich vorläufige Einschätzungen und noch nicht endgültig. Der Konzern kann über seine Verfahrensrechte Vorwürfe entkräften oder jedenfalls zu einem für sich günstigen Ausgang beitragen. So sind zum Beispiel Zusagen denkbar, um die behördlichen Einschätzungen wenn nicht zu widerlegen, so jedenfalls doch zu entkräften. Typischerweise lässt sich dies bei Plattformen durch wettbewerbsfreundliche Ausgestaltungen ihrer Geschäftsmodelle oder bewusst gewährte Zugangsansprüche für Dritte erreichen. Ob es aber dazu kommt und nicht vielleicht sogar andere Abhilfen ergriffen werden, ist noch unklar. Auch an dieser Stelle ist ein unmittelbar durchsetzbarer Zugangsanspruch jedenfalls effektiver.