Competition by Design, Compliance by Design oder Antitrust by Design?

Heu­te, am 31.3.2020, hät­te eigent­lich in Edin­burgh ein Work­shop unter dem Label Block­chain Tech­no­lo­gy in Inter­na­tio­nal Trade and Ship­ping statt­ge­fun­den. Ich wur­de ein­ge­la­den, dort einen Vor­trag unter dem Titel die­ses Bei­tra­ges zu hal­ten. Es hät­te alles so lau­fen müs­sen, aber bedau­er­li­cher- und ver­ant­wor­tungs­vol­l­er­wei­se muss­te auch die­se Ver­an­stal­tung abge­sagt wer­den. Da ich mei­ne Gedan­ken den­noch ein­mal zur Dis­kus­si­on frei­ge­ben möch­te, ver­su­che ich hier eine Sortierung.

In Kürze: Worum geht es?

Es soll vor allem um eine Dar­stel­lung der Unter­schie­de zwi­schen den drei Denk­kon­zep­ten gehen. Ich habe bereits vor eini­ger Zeit einen Bei­trag unter dem Label „Anti­trust by Design“ geschrie­ben. In die­sem ver­su­che ich einen kon­zep­tio­nel­len Erklä­rungs­an­satz für eine kar­tell­recht­li­che Tech­nik-Com­pli­ance für Algo­rith­men, Block­chain und Platt­for­men zu defi­nie­ren. Dog­ma­ti­sche und auch tech­ni­sche Grund­la­ge für die­sen Bei­trag war wie­der­um ein Auf­satz, den ich in enger Zusam­men­ar­beit mit David Sai­ve geschrie­ben und im Som­mer 2018 in der NZKart ver­öf­fent­licht habe. Dort ging es um das kar­tell­recht­li­che Ver­bot abge­stimm­ter Ver­hal­tens­wei­sen und die damit ver­bun­de­nen tech­ni­schen Fra­gen, unter wel­chen Umstän­den man beim Ein­satz soge­nann­ter Dis­tri­bu­ted Led­ger Tech­no­lo­gies (DLT) noch zuläs­sig zusam­men­ar­bei­ten kann.

Kom­ple­xer wer­den­de tat­säch­li­che Zusam­men­hän­ge sind auch der Grund für die­se Dis­kus­si­on. Denn es reicht häu­fig nicht mehr aus, all­ge­mein auf die kar­tell­recht­li­chen Ver­bo­te hin­zu­wei­sen. Ich hat­te mei­ne Idee von Anti­trust by Design bereits in einem älte­ren Blog­post zusammengefasst:

Anti­trust by Design bezieht sich also auf die grund­sätz­li­che Aus­sa­ge „Anti-Trust“ und soll ein wett­be­werbs­be­schrän­ken­des Ver­hal­ten der Unter­neh­men ver­hin­dern, das zu einem nicht mehr erlaub­ten Ver­trau­en führt. In der Pra­xis kann dies sogar bedeu­ten, dass pro­phy­lak­tisch die­je­ni­gen Maß­nah­men gefun­den wer­den müs­sen, die in jedem Fall kar­tell­recht­lich unzu­läs­sig wären. Aber auch dar­über hin­aus müs­sen die tech­ni­schen Sys­te­me und Soft­ware so aus­ge­stal­tet wer­den, dass sie bereits auf einer pro­ak­ti­ven Ebe­ne com­pli­ant sind und nicht erst eine Reak­ti­on auf bereits ver­wirk­lich­te Abstim­mun­gen oder Infor­ma­ti­ons­aus­tau­sche dar­stel­len. https://​lou​ven​.legal/​2​0​1​9​/​0​6​/​2​1​/​w​a​s​-​k​a​n​n​-​a​n​t​i​t​r​u​s​t​-​b​y​-​d​e​s​i​g​n​-​s​e​in/

Welche Unterschiede gibt es aus rechtlicher Sicht?

Zwi­schen den drei Berei­chen gibt es kon­zep­tio­nel­le, wett­be­werbs­po­li­ti­sche und rechts­dog­ma­ti­sche Unter­schie­de. Dabei mei­ne ich „Anti­trust by Design“ im wört­li­chen Sin­ne eines „no trust“. Was das dog­ma­tisch bedeu­tet, erklä­re ich spä­ter genau­er. Com­pe­ti­ti­on by Design und Com­pli­ance by Design ste­hen im Nexus die­ser Debat­te. Ganz stark ver­kürzt, bevor ich das gleich etwas näher erkläre:

  • Com­pe­ti­ti­on by Design: Wett­be­werb wird gestal­tet; staat­li­che Ein­grif­fe in das Wett­be­werbs­ge­sche­hen; Regu­lie­rung oder Wett­be­werbs­po­li­tik; kann not­falls unter engen Vor­aus­set­zun­gen durch Unter­neh­men als abmil­dern­de Maß­nah­men ange­wandt werden
  • Com­pli­ance by Design: Effek­tiv gestal­te­te Stan­dards zur Ver­mei­dung von Rechts­ver­stö­ßen; „ech­tes“ Design-Thin­king im unter­neh­me­ri­schen Umfeld
  • Anti­trust by Design: Wett­be­werb wird nicht gestal­tet; Ein­füh­rung tech­ni­scher Bedin­gun­gen, die zu wett­be­werb­li­chen Bedin­gun­gen im Sin­ne eines „no-trust“ führen

Ver­tre­ter eines Ansat­zes für Com­pe­ti­ti­on by Design set­zen vor allem auf Par­al­le­len zu Art. 25 Abs. 1 DSGVO und dem dort ent­hal­te­nen Grund­satz vom Pri­va­cy by Design. Ich mei­ne aber, dass gera­de in Bezug auf die­se Vor­schrift ein wesent­li­cher Unter­schied zwi­schen Pri­va­cy by Design und Com­pe­ti­ti­on by Design liegt. Die Unter­schie­de las­sen sich bereits sehr glo­bal betrach­tet mit den unter­schied­li­chen Schutz­zweck­me­tho­den und der rechts­po­li­ti­schen Aus­rich­tung beschrei­ben. Im Wett­be­werbs­recht gel­ten die all­ge­mei­nen Frei­hei­ten, die erst in den Ver­bots­vor­schrif­ten des Kar­tell­rechts ihre Gren­zen fin­den. Anders her­um ist dies im Daten­schutz­recht: Es gilt ein all­ge­mei­nes Ver­bot mit Erlaub­nis­vor­be­halt. Im Kar­tell­recht ist also jedes wett­be­werb­li­che Han­deln erlaubt, wenn es nicht aus­nahms­wei­se ver­bo­ten ist; im Daten­schutz­recht ist also jeder Ver­ar­bei­tungs­vor­gang per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten ver­bo­ten, wenn er nicht aus­nahms­wei­se erlaubt ist. Der Schutz­zweck des Kar­tell­rechts ist aber weit unspe­zi­fi­scher und schwe­rer zu fas­sen als der im Daten­schutz­recht. Eini­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus dem Daten­schutz­recht wer­den das sicher dif­fe­ren­zier­ter sehen. Für die­sen Bei­trag reicht aber zu wis­sen, dass man Wett­be­werb nur schwer posi­tiv, abso­lut und end­gül­tig defi­nie­ren kann. Wenn das bereits nicht mög­lich ist, wie soll Wett­be­werb dann gestal­tet wer­den? Nur in eini­gen weni­gen Fäl­len über­nimmt der Staat die­se Auf­ga­be, zum Bei­spiel in regu­lier­ten Berei­chen der Wohl­fahrt und in Netz­in­dus­trien. All­ge­mein kann mit dem Kar­tell­recht also Wett­be­werb nicht durch den Staat gestal­tet werden.

Anti­trust by Design wür­de den Weg über den Schutz­zweck zunächst nicht gehen, son­dern statt­des­sen an den kar­tell­recht­li­chen Ver­bo­ten anset­zen. Dabei hole ich die­sen Gedan­ken aus mei­nen Bei­trä­gen über den Ein­satz soge­nann­ter Kon­sen­s­al­go­rith­men, wie sie zuneh­mend in neue­ren Tech­no­lo­gien zum Ein­satz kom­men. Die­se kön­nen auf eine ver­gleichs­wei­se ein­fa­che Wei­se Abstim­mun­gen jeg­li­cher Art und Wei­se zwi­schen Unter­neh­men durch Auto­ma­ti­sie­rung erleich­tern. Wenn aber Abstim­mun­gen ein­fa­cher wer­den, kön­nen eben­so wett­be­werbs­wid­ri­ge abge­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen ein­fa­cher durch­ge­führt wer­den. Die Kon­se­quenz ist, dass bereits bei der Gestal­tung der­ar­ti­ger Algo­rith­men dar­auf geach­tet wer­den muss, dass sie Anwen­dun­gen nur inner­halb des gel­ten­den Kar­tell­rechts ermög­li­chen. Das wür­de bei dem Ver­bot wett­be­werbs­be­schrän­ken­der Maß­nah­men gemäß Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB bedeu­ten, dass Koope­ra­tio­nen auf das wett­be­werb­lich Zuläs­si­ge beschränkt und kol­lu­si­ve Maß­nah­men ver­hin­dert wer­den. Die betei­lig­ten Unter­neh­men müss­ten wei­ter­hin dem all­ge­mei­nen Unsi­cher­heits­ri­si­ko des Wett­be­werbs und feh­len­dem wett­be­werb­li­chen Ver­trau­en in das Markt­ver­hal­ten der Wett­be­wer­ber aus­ge­setzt sein. Bei der Markt­macht­miss­brauchs­kon­trol­le könn­te ein markt­mäch­ti­ges Unter­neh­men sich pro­ak­tiv erfor­der­li­che und ange­mes­se­ne Selbst­be­schrän­kun­gen geben, gera­de um dem Vor­wurf des Miss­brauchs sei­ner Stel­lung aus dem Weg zu gehen und damit nicht mehr als Wett­be­werbs­be­schrän­ken­der Trust ange­se­hen zu werden.

Com­pli­ance by Design schließ­lich stellt ein all­ge­mei­nes Pro­gramm dar, bei dem Design-Thin­king-Metho­den ein­be­zo­gen wer­den. Es kann inso­fern weit­rei­chen­de Über­schnei­dun­gen mit Anti­trust by Design geben. Denn der Grund­satz wirk­sa­mer Com­pli­ance wird sich auch dar­an mes­sen las­sen, inwie­fern Rechts­ver­stö­ße ver­hin­dert wer­den. Das kann dazu füh­ren, dass auf einer sehr frü­hen unter­neh­me­ri­schen Gestal­tungs­ebe­ne bereits ent­spre­chen­de Maß­nah­men ergrif­fen wer­den. Vie­les von die­sem all­ge­mei­nen Grund­satz fin­det sich im Anti­trust by Design wie­der. Aller­dings ist hier „Design“ nicht nur Metho­de, son­dern folgt unmit­tel­bar aus den mate­ri­ell-recht­li­chen Vorschriften.

Was bedeutet das für die Praxis?

Com­pli­ance by Design schließt die Emp­feh­lung ein, effek­ti­ve Maß­nah­men zur Ver­mei­dung von Kar­tell­rechts­ver­stö­ßen zu ergrei­fen, die auf das jewei­li­ge Unter­neh­men und sei­ne gesam­ten Abläu­fe hin gestal­tet sind. Hier steht das Unter­neh­men im Mit­tel­punkt. Das ist in der Pra­xis auch in aller Regel völ­lig rich­tig und häu­fig aus­rei­chend. Eine gut gestal­te­te, effek­ti­ve Com­pli­ance wird bereits vie­le Risi­ken erken­nen und besei­ti­gen. Was macht Anti­trust by Design hier­zu so beson­ders? Zunächst ist es der mate­ri­ell­recht­li­che Ansatz, die erfor­der­li­chen Com­pli­ance-Maß­nah­men streng an den jewei­li­gen Vor­aus­set­zun­gen der Ver­bots­vor­schrif­ten ent­lang ein­zu­füh­ren. Der mög­li­che Ver­stoß und sei­ne Ver­mei­dung steht also im Mit­tel­punkt. Dane­ben zielt die­ser Ansatz dar­auf ab, die Ver­bo­te nicht allein als etwas zu umge­hen­des anzu­er­ken­nen, son­dern sie auch als Anfor­de­rung an Gestal­tungs­pro­zes­se zu neh­men. Dar­aus folgt schließ­lich der Fokus auf die Gestal­tung selbst. Bereits bei der ers­ten Idee für neue Abläu­fe im Unter­neh­men oder gemein­sam mit Wett­be­wer­bern soll­ten Hin­wei­se zur Ver­mei­dung von Rechts­ver­stö­ßen berück­sich­tigt wer­den. Die recht­lich erfor­der­li­chen und wirk­sa­men Maß­nah­men kön­nen dabei immer wie­der vari­ie­ren. So kann bei einem Ablauf eine blo­ße Wider­spruchs­mög­lich­keit aus­rei­chen, wäh­rend es bei der nächs­ten akti­ve Ver­de­ckungs­me­cha­nis­men geben muss. Auch die Ein­rich­tung von Clean Teams und eigen­stän­di­gen Daten­räu­men mit begrenz­ten Zugriffs­rech­ten kann erfor­der­lich sein.

Wenn ich oben geschrie­ben habe, dass ein Com­pe­ti­ti­on by Design im Kar­tell­recht nicht mög­lich ist, so gilt das jeden­falls für Maß­nah­men des Staa­tes. Denn das Kar­tell­recht setzt vor­aus, dass Wett­be­werb über­haupt besteht, bzw. es soll ihn ledig­lich wei­ter auf­recht erhal­ten. Wett­be­werb wird durch Unter­neh­men und Ver­brau­cher gestal­tet, indem sie ihre Wett­be­werbs­frei­hei­ten aus­üben. Nur im Aus­nah­me­fall kann eine Wett­be­werbs­be­hör­de oder einer Gericht inner­halb der gesetz­li­chen Befug­nis­se Zwang anwen­den und damit aktiv gestal­ten. Aber auch hier sind Gren­zen gesetzt. So kann der Staat aus dem gel­ten­den Kar­tell­recht kei­ne gesetz­li­che Befug­nis zur umfas­sen­den Pla­nung und Gestal­tung des Wett­be­werbs ablei­ten, auch nicht im Rah­men von Ein­zel­ent­schei­dun­gen. Sofern eine Behör­de von ihren Unter­sa­gungs­be­fug­nis­sen Gebrauch macht, kann sie gestal­te­risch nur zur Abstel­lung der fest­ge­stell­ten Wett­be­werbs­ver­stö­ße tätig wer­den, nicht aber zur Len­kung eines für sie gewünsch­ten Wett­be­werbs­ver­laufs. Anders kann dies für Unter­neh­men sein. Hier bie­tet sich frei­wil­li­ges Com­pe­ti­ti­on by Design als Chan­ce an. So könn­ten Unter­neh­men bewusst pro­ak­ti­ve Maß­nah­men ergrei­fen, mit denen sie Wett­be­werb nicht etwa beschrän­ken, son­dern ihn sogar ermög­li­chen. Ein typi­scher Fall ist dies bei Infor­ma­ti­ons­aus­tau­schen, die jedoch aus­nahms­los auch allen Wett­be­wer­bern zugu­te kom­men kön­nen. Markt­mäch­ti­ge Unter­neh­men könn­ten dage­gen selbst­bin­den­de effek­ti­ve Maß­nah­men ergrei­fen, mit denen sie ande­ren Unter­neh­men neue wett­be­werb­li­che Hand­lungs­mög­lich­kei­ten eröff­nen. Auch die­se kön­nen ver­mark­tet wer­den. Ein wei­te­res Bei­spiel sind frei­wil­lig gewähr­te Zugangs­rech­te zu Daten eines Markt­be­herr­schers. Aber auch die Schaf­fung eines neu­en Wett­be­wer­bers in Form eines unab­hän­gi­gen Unter­neh­mens kann eine Lösung sein.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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