Vor weni­gen Tagen ist die Fest­schrift für mei­nen Dok­tor­va­ter Jür­gen Tae­ger erschie­nen. Sie wur­de ihm per­sön­lich nach sei­ner Abschieds­vor­le­sung über­ge­ben, ein sehr wür­de­vol­ler Moment. Ich durf­te eben­so einen Bei­trag leis­ten. Es ist einer mei­ner ganz sel­te­nen Bei­trä­ge zum Daten­schutz­recht, aber eigent­lich doch wie­der nicht. Denn es geht um den Unter­neh­mens­be­griff im Art. 83 DSGVO und sei­ne Aus­le­gung – und da kommt wie­der das Kar­tell­recht ins Spiel.

Wo ist das Problem?

Der geneig­te Leser im Daten­schutz­recht kennt die Pro­blem­stel­lung bereits län­ger: In der DSGVO hat man sich bei der Buß­geld­be­rech­nung etwas im Kar­tell­recht abge­schaut. So ent­hält Art. 83 DSGVO drei Absät­ze, die jeweils die Ver­hän­gung von Buß­gel­dern ermög­li­chen. Die­se kön­nen auf zwei unter­schied­li­che Wei­sen berech­net werden:

  1. „von bis zu“ einem bestimm­ten Höchstsatz
  2. im Fall eines Unter­neh­mens „von bis zu“ 2 bzw. 4 % sei­nes gesam­ten welt­weit erziel­ten Jah­res­um­sat­zes des vor­an­ge­gan­ge­nen Geschäftsjahrs

Und die­ser fett her­vor­ge­ho­be­ne Wort­laut ist Gegen­stand mei­nes Bei­trags. Denn wel­ches Unter­neh­men muss betrach­tet wer­den? Han­delt es sich um das­sel­be Unter­neh­men, das als Ver­ant­wort­li­cher die daten­schutz­recht­li­chen Pflich­ten der DSGVO ein­hal­ten muss? Macht das Sinn, wenn doch die Umsät­ze betrach­tet wer­den sol­len? Aber was ist, wenn der eigent­li­che Ver­ant­wort­li­che doch nur eine Unter­ein­heit in einem grö­ße­ren Kon­zern ist, der ihn steu­ert. Infi­ziert die­ser dann alles und gibt es dann eine Art „unter­neh­me­ri­sche Sippenhaft“?

Befeu­ert wur­de die Debat­te durch eine ein­deu­tig schei­nen­de Aus­sa­ge im 150. Erwä­gungs­grund zur DSGVO. Dort heißt es in Satz 3:

Wer­den Geld­bu­ßen Unter­neh­men auf­er­legt, soll­te zu die­sem Zweck der Begriff „Unter­neh­men“ im Sin­ne der Arti­kel 101 und 102 AEUV ver­stan­den werden.ErwG 150 S. 3 DSGVO

Ein­deu­tig schei­nend schrei­be ich bewusst, denn Erwä­gungs­grün­de haben als sol­che kei­ne regeln­de Wir­kung. Mehr als eine Aus­le­gungs­hil­fe kann es also nicht sein. Aller­dings gibt es ähn­li­ches auch bei deut­schen Geset­zen, wenn die Regie­rungs­be­grün­dung Auf­schluss über Sinn und Zweck oder die His­to­rie geben will – und dabei mehr oder weni­ger nebu­lös bleibt. Dann ist es Auf­ga­be der Behör­den und Gerich­te, die jewei­li­ge Vor­schrift rechts­feh­ler­frei anzuwenden.

Wenn man die­se Aus­sa­ge ernst nimmt, wür­de das Unter­neh­men im buß­geld­recht­li­chen Sin­ne also „kar­tell­recht­lich“ betrach­tet. Unter­neh­men ist danach eine funk­tio­nal wirt­schaft­lich und selbst­stän­dig tätig wer­den­de Ein­heit. Aller­dings kennt die DSGVO bereits eine ande­re Unter­neh­mens-Defi­ni­ti­on, näm­lich in in Art. 4 Nr. 18 DSGVO, hier wört­lich zitiert:

Im Sin­ne die­ser Ver­ord­nung bezeich­net der Ausdruck:

„Unter­neh­men“ eine natür­li­che oder juris­ti­sche Per­son, die eine wirt­schaft­li­che Tätig­keit aus­übt, unab­hän­gig von ihrer Rechts­form, ein­schließ­lich Per­so­nen­ge­sell­schaf­ten oder Ver­ei­ni­gun­gen, die regel­mä­ßig einer wirt­schaft­li­chen Tätig­keit nachgehen;

Es braucht also eine Per­son, nicht etwa eine Ein­heit. Besteht ein Wider­spruch zwi­schen gesetz­li­cher Defi­ni­ti­on und Erwä­gungs­grund? Die einen sagen ja, aber die­ser wird durch die vor­ran­gi­ge und umfas­send gel­ten­de Defi­ni­ti­on in Art. 4 Nr. 18 DSGVO auf­ge­löst. Die ande­ren sagen nein, denn es han­delt sich um zwei ver­schie­de­ne Unter­neh­mens­be­grif­fe; einen „vor­ne“ für den daten­schutz­recht­li­chen Pflich­ten­be­reich und einen „hin­ten“ für die Bemes­sung von Bußgeldern.

Was ist meine Meinung dazu?

Auch wenn die­se Ein­schät­zung bei Daten­schutz­be­ra­tern und Kon­zern­ju­ris­ten nicht beliebt ist: Es spricht eini­ges dafür, dass der Ver­ord­nungs­ge­ber ein unter­schied­li­ches Ver­ständ­nis von Unter­neh­men auf ers­tens der Ver­sto­ßebe­ne und zwei­tens der Buß­geld­ebe­ne hat­te. Hier ein paar Argumente:

  • Der Wort­laut ist im Eng­li­schen unter­schied­lich. So spricht dort Art. 4 Nr. 18 DSGVO von „enter­pri­se“, Art. 83 Abs. 4 – 6 DSGVO dage­gen von „under­ta­king“. Letz­te­rer Aus­druck wird eben­so im Kar­tell­recht verwendet.
  • Die Zwe­cke der bei­den Vor­schrif­ten und damit zusam­men­hän­gend die Sys­te­ma­tik sind unter­schied­lich. Denn im vor­de­ren Pflich­ten­be­reich geht es vor allem um die genaue Fest­schrei­bung, wer sich wor­an zu hal­ten hat. Das ist bei der Geld­bu­ße nicht mehr erfor­der­lich, denn die­se setzt einen Ver­stoß gegen Pflich­ten vor­aus. Hier kommt es viel­mehr auf eine effek­ti­ve Rechts­durch­set­zung an. Es soll zum Bei­spiel nicht mög­lich sein, dass sich inner­halb einer Kon­zern­struk­tur Unter­neh­men einer Buß­geld­haf­tung ent­zie­hen, indem sie etwa bewusst klein im direk­ten Umsatz gehal­ten wer­den. Und die Buße soll ein Unter­neh­men wirt­schaft­lich treffen.
  • Die His­to­rie deu­tet dar­auf hin, dass auch der posi­tiv in Art. 4 Nr. 18 DSGVO gere­gel­te Unter­neh­mens­be­griff in einem frü­hen Ent­wurf weit ver­stan­den wer­den soll­te. Erst im wei­te­ren Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren wur­de er enger for­mu­liert. Man kann des­halb die Aus­sa­ge in ErwG 150 S. 3 so ver­ste­hen, dass Buß­gel­der grund­sätz­lich am Maß­stab des wei­te­ren Begriffs berech­net wer­den sol­len und es um den auf der euro­päi­schen Ebe­ne gel­ten­den wei­ten und ein­heit­li­chen Berech­nungs­maß­stab gehen sollte.

Aber wie geht man mit die­ser Bewer­tung nun um? Die Lösung liegt auch wie­der im kar­tell­recht­li­chen Unternehmensbegriff.

Was machen wir mit diesem Unternehmensbegriff?

Wenn man sich den kar­tell­recht­li­chen Unter­neh­mens­be­griff genau­er anschaut, fällt sofort das funk­tio­na­le Ele­ment auf. Das bedeu­tet, dass es anders als beim daten­schutz­recht­li­chen Unter­neh­mens­be­griff des Art. 4 Nr. 18 DSGVO zunächst nicht auf ein orga­ni­sa­to­ri­sches Ele­ment ankommt. Das ist etwas schwer ver­ständ­lich, vor allem weil ich gleich wie­der etwas von Orga­ni­sa­ti­on schrei­ben werde.

Denn das funk­tio­na­le Ele­ment kann auch genutzt wer­den, um die wirt­schaft­li­che Tätig­keit einer Ein­heit oder den bestim­men­den Ein­fluss zu wider­le­gen. Denn der funk­tio­na­le Unter­neh­mens­be­griff sagt nicht, dass zwin­gend immer bei einem Kon­zern gleich­zei­tig ein ein­heit­li­ches Unter­neh­men vor­lie­gen muss. Denk­bar wären auch Unter­ein­hei­ten, die hin­rei­chend los­ge­löst sind, sodass ein bestim­men­der Ein­fluss gera­de nicht mehr besteht. Hier lässt sich grund­sätz­lich doch wie­der ent­lang der tat­säch­li­chen Kon­zern­struk­tur argu­men­tie­ren. Sind Ein­hei­ten danach unab­hän­gig wirt­schaft­lich tätig, so kön­nen sie auch nur als sol­che Unter­neh­men dar­stel­len. Hilf­reich ist hier das im Kar­tell­recht bereits bekann­te soge­nann­te Selbst­stän­dig­keits­pos­tu­lat, wonach die Unter­neh­men im Wett­be­werb ihre Geschi­cke grund­sätz­lich unab­hän­gig von­ein­an­der regeln sol­len. Die­se Selbst­stän­dig­keit kann grund­sätz­lich auch zwi­schen ein­zel­nen Ein­hei­ten des­sel­ben Kon­zerns bestehen.

Wirt­schaft­li­che Unab­hän­gig­keit wird aller­dings jeden­falls dann nicht anzu­neh­men sein, wenn eine Ein­heit ledig­lich kon­zern­in­ter­ner Dienst­leis­ter ist und kei­ne eige­nen Umsät­ze erzielt. Bei sol­chen umsatz­los dolo­sen Ein­hei­ten wür­de wohl eine Zurech­nung an die Ober­ein­heit erfol­gen. Und auch bei Schwes­ter­un­ter­neh­men mit einem gemein­sa­men wirt­schaft­li­chen Zweck wür­de es ähn­lich aus­se­hen. Das kann zum Bei­spiel bei regio­na­len Unter­ein­hei­ten der Fall sein, die jedoch alle dem­sel­ben obe­ren wirt­schaft­li­chen Zweck zuar­bei­ten, wie etwa nach Län­dern unter­schied­lich orga­ni­sier­te Autohandelshäuser.


Wer das noch ein­mal rich­tig gut und tief­ge­hend nach­le­sen will, dem emp­feh­le ich den Auf­satz von Fabi­an Uebe­le, Das „Unter­neh­men“ im euro­päi­schen Daten­schutz­recht, EuZW 2018, S. 440 – 446. Und ganz aktu­ell bin ich noch auf einen ande­ren Bei­trag gesto­ßen, den ich wärms­tens emp­feh­len will: Ste­fan Hes­sel und Karin Potel von Reusch​.Law haben das The­ma sehr tief­grün­dig durch­dacht in der aktu­el­len Aus­ga­be der Zeit­schrift Kom­mu­ni­ka­ti­on & Recht behandelt.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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