Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB sind die Verbote des Behinderungs- und des Diskriminierungsmissbrauchs auch bei sogenannter relativer Marktmacht anwendbar. Dabei handelt es sich um eine Verschärfung des deutschen Kartellrechts. Voraussetzung ist, dass ein Unternehmen von einem anderen derart abhängig ist, dass es keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten hat. Bereits bisher wäre unter dieser Vorschrift auch eine plattform- oder datenbedingte Abhängigkeit begründbar gewesen. Auf eine Marktabgrenzung und die Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung kommt es dann nicht mehr an.
Zusätzlich wurde die datenbezogene Abhängigkeit mittlerweile in § 20 Abs. 1a S. 1 GWB klargestellt. Eine Abhängigkeit kann auch bestehen, wenn ein Unternehmen auf Daten angewiesen ist, die von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden. Damit können in besonderen Abhängigkeitsverhältnissen nahezu sämtliche Datenbelieferungsansprüche abgebildet werden.
Verstößt ein Dateninhaber gegen die über § 20 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a GWB aktivierten Verbote des Behinderungs- und Diskriminierungsmissbrauchs, so können Betroffene deshalb Unterlassungsansprüche gemäß § 33 Abs. 1 GWB geltend machen. Hier eine Übersicht über einige wichtige Punkte. Beachten Sie dabei aber, dass § 20 GWB nur eine Möglichkeit für eine kartellrechtliche Grundlage als Zugang zu Daten darstellt. Auch das allgemeine Marktmachtmissbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV sowie § 19a GWB können einen zwangsweise durchsetzbaren Zugangsanspruch ermöglichen. Dieser Beitrag soll aber eine motivierende Darstellung einiger Ausschnitte zu § 20 GWB darstellen.
Darf das Unternehmen die Vermarktung sich selbst oder jemand anderes exklusiv vorbehalten?
§ 20 Abs. 1a S. 3 GWB stellt es bereits für die relative Marktmacht dar, aber auch ansonsten gilt bei der Essential Facilities Doctrine, dass bei Bestehen der Voraussetzungen kein Einwand oder Vorbehalt der Eigenvermarktung mehr gilt. Das bedeutet etwa, dass Unternehmen nicht mehr entscheiden dürfen, Daten grundsätzlich an niemanden herauszugeben. Ist eine Geschäftsverweigerung missbräuchlich, so müssen die Daten herausgegeben werden. Das marktbeherrschende Unternehmen unterliegt dann einem Kontrahierungszwang. Dieser durchbricht die grundsätzliche Privatautonomie und kann notfalls sogar im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Eine missbräuchlich vorbehaltene Exklusivität kann etwa dann vorliegen, wenn nur ein Unternehmen für einen Zugang zu den Daten zugelassen wird und dessen Wettbewerber nicht.
Das gilt auch, wenn an den Daten Rechte des geistigen Eigentums bestehen. Gerade bei der Essential Facilities Doctrine kommt regelmäßig der Einwand, was dann noch von den eigentlichen gesetzlichen Schutzrechten übrig bleibt. Zudem ist es eine typische Eigenschaft bei Immaterialgüterrechten, dass ihr Inhaber anderen die Nutzung untersagen kann. Hier zeigt sich noch einmal der Ausnahmecharakter des kartellrechtlichen Kontrahierungszwangs. Wird durch die Untersagung Wettbewerb beschränkt und ist die Lizenzverweigerung missbräuchlich, bleibt nur noch die Durchsetzung des Kontrahierungszwangs.
Bedarf es einer vorherigen Geschäftsbeziehung?
Ein kartellrechtlicher Kontrahierungszwang setzt nicht voraus, dass zwischen den Unternehmen bereits zuvor eine Geschäftsbeziehung bestand. Zwar kann auch die Kündigung einer bisherigen Geschäftsbeziehung missbräuchlich sein. Darauf kommt es jedoch nicht stets an. So könnten Zugangsansprüche auch dahingehend umgesetzt werden, dass sich ein Unternehmen einen Neuzugang gewähren lässt und damit neuen Wettbewerb erschließt.
Das wäre auch der Fall, wenn der gesamte Markt bislang verschlossen ist und selbst dann, wenn der Dateninhaber kein wirtschaftliches Interesse an einer Marktöffnung hat. Auch wenn ein Unternehmen bislang niemandem den Zugang zu Daten eröffnet hat, kann es einen Kontrahierungszwang geben. Häufig ist betroffenen Unternehmen jedoch nicht klar, dass sie mögliche Datenzugangsansprüche durchsetzen könnten.
Umstritten ist noch, ob der Zugangsnachfrager ein neues Produkt anbieten muss. Diese Voraussetzung geht auf die Essential Facilities Doctrine zurück. Missbräuchlich ist eine Geschäftsverweigerung insbesondere dann, wenn sie die Entwicklung neuen Wettbewerbs und neuer Angebote behindert. Dabei wird teilweise eng ein neues und definiertes Angebot verlangt. Dem lässt sich jedoch entgegen halten, dass auch ohne ein konkretes neues Angebot Wettbewerb beeinträchtigt sein kann. Jedenfalls aber muss ein Zugang gewährt werden, wenn der Zugangsnachfrager die Daten für einen konkreten Zweck benötigt und hierfür keine Ausweichmöglichkeiten bestehen. Dies stellt auch § 20 Abs. 1a S. 3 GWB mittlerweile klar.
Wann kann ein Unternehmen den Zugang verweigern?
Ein Kontrahierungszwang besteht nicht, wenn ein Unternehmen eine sachliche Rechtfertigung hat. Gründe können bei Daten etwa das geltende materielle Datenschutzrecht mit seinen Verbotsvorschriften sein. Mit anderen Worten kann regelmäßig kein Zugang zu personenbezogenen Daten erzwungen werden. Das bedeutet aber nicht, dass der Dateninhaber über einen pauschalen Verweis “wegen Datenschutz” den Zugang ablehnen kann. Die geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften stellen in aller Regel eine sachliche Rechtfertigung dar, soweit sie sich auf personenbezogene Daten beziehen. Allerdings erscheint regelmäßig zweifelhaft, inwiefern Daten als Zugangsobjekt gleichzeitig wettbewerblich relevant und personenbezogen sind. In den allermeisten Fällen ist gerade die Belieferung mit nicht-personenbezogenen Daten wichtig.
Die Gründe müssen auch tatsächlich vorliegen und im Bestreitenfall ist primär der Inhaber darlegungs- und beweisbelastet. Auch schädliches Vorverhalten des Betroffenen ist maßgeblich. Bei physischen Einrichtungen könnten Kapazitätsbeschränkungen zu einer Repartierung zwingen. In all diesen Fällen muss jedoch der Dateninhaber aktiv die Begründung erklären und erläutern. Nimmt er dies nicht vor, so kann allein schon die Geschäftserläuterung ohne Begründung einen Marktmachtmissbrauch darstellen.
Darf der Dateninhaber ein Entgelt verlangen?
Ja, aber auch die Höhe des Entgeltes und die sonstigen Geschäftsbedingungen können dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot unterfallen. So kommen Behinderungsmaßnahmen auch bei vertraglichen Bedingungen oder Preisen in Betracht, die sich prohibitiv oder behindernd auf den Zugang zu Daten auswirken.
Das marktmächtige Unternehmen muss den Zugang auf die Weise gewähren, dass es sich nicht missbräuchlich verhält. Das muss nicht zwingend die Weise bedeuten, die sich andere Unternehmen wünschen. Dennoch lohnt es sich, die Zugangsbedingungen zu untersuchen und notfalls Nachbesserungen zu verlangen. Aufgrund des Behinderungsmissbrauchsverbots kann sich ein weitreichender Kontrollrahmen ergeben, der etwa Preise, Bindungs‑, Haftungs- oder Gestaltungsrechte betrifft, aber auch die weitere Verfügung über die betreffenden Daten.
Grundsätzlich können betroffene Unternehmen sich direkt an das Unternehmen mit der Dateninhaberschaft wenden und um Zugang zu Daten bitten. Dies sollte auch mit einer Fristsetzung verbunden werden. Ein marktmächtiges Unternehmen wäre dann verpflichtet, ein Angebot auf Geschäftsabschluss vorzulegen. Dieses muss alle notwendigen Bedingungen enthalten, um den Vorwurf des Behinderungsmissbrauchs zu vermeiden. Das können je nach Konstellation dann sogar Schnittstellen oder diese betreffende Informationen sein. Allerdings können auch Mitwirkungspflichten der betroffenen Unternehmen bestehen.
Wo kann man mehr von mir über den Zugang zu Daten lesen?
Ich habe als einer der ersten in der deutschsprachigen Literatur zum Zugang zu Daten geschrieben. Sie finden von mir zahlreiche Fachbeiträge dazu in renomierten Zeitschriften und Büchern. Unter anderem schreibe ich hierzu im Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht.
Hier eine kurze Übersicht über bisherige Literatur von mir:
– Kartellrechtliche Innovationstheorie für digitale Plattformen
– Kommt (erst) mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz der Zugang zu Daten?, Ri 2020, S. 76 – 81
– Juristische Perspektive von Marktmacht durch Daten, in: Specht, Louisa/Werry, Nikola/Werry, Susanne (Hrsg.), Handbuch Datenrecht und Digitalisierung, Berlin 2020, S. 779 – 820
– EuGH zum sektorspezifischen Zugangsanspruch zu Fahrzeug-Herstellerdaten, EuGH, Urt. v. 19.09.2019 – C 527/18, jurisPR-ITR 1/2020 Anm. 4
– Braucht es mehr materielles Kartellrecht für die Digitalwirtschaft?, ZWeR 2019, S. 154 – 191 [Peer Reviewed]
– Zugang zu Daten – Kartellrecht als Lösung?, GRUR Newsletter 2/2018
– Datenmacht und Zugang zu Daten, NZKart 2018, S. 217 – 222
– Datenzugangsverhältnis, FRAND und Wettbewerbsrecht, K&R 2018, S. 230 – 236 (freier Download)
– Kartellrechtlicher Zugangsanspruch zu Daten nach der essential facilities doctrine, in: Hennemann, Moritz/Sattler, Andreas (Hrsg.), Immaterialgüter und Digitalisierung, Baden-Baden 2017, S. 73 – 87
– Daten und FRAND – Regulatorische Rahmenbedingungen von Datenzugangsverhältnissen, in: Taeger, Jürgen (Hrsg.), Recht 4.0 – Innovationen aus den rechtswissenschaftlichen Laboren, Edewecht 2017, S. 421 – 436
– Neues zu Big Data und Kartellrecht – Relevanz datenbasierter Geschäftsmodelle im europäischen und deutschen Kartellrecht, in: Blocher, Walter/Heckmann, Dirk/Zech, Herbert (Hrsg.), Jahresband IT-Recht, Köln 2017, S. 143 – 164
– Porsche-Tuning, Anmerkung zu: BGH, Urteil vom 6.10.2015 – KZR 87/13, WRP 2016, S. 239 – 240