Gesperrtes Verkäufer-Konto: Landgericht Hannover erlässt einstweilige Verfügung gegenüber Amazon — Verfassungsbeschwerde erfolglos

Vor eini­ger Zeit schon gab es eine span­nen­de Ent­schei­dung des Land­ge­richts Han­no­ver, mit dem die­ses per einst­wei­li­ger Ver­fü­gung Ama­zon die Sper­re eines Ver­käu­fer­kon­tos unter­sagt hat­te (Beschl. v. 22.7.2021, Az. 25 O 221/21).

Warum sind die Entsperrfälle so besonders?

Ama­zon ist für vie­le Online-Händ­ler ein wich­ti­ger Ver­triebs­weg. Die Platt­form bie­tet eine Fül­le an Funk­tio­nen und zudem die Reich­wei­te, um gut an zahl­rei­che Kun­den und Kun­din­nen zu gelan­gen. Ent­spre­chend hoch ist das Inter­es­se an dem Bestand eines Ver­käu­fer­kon­tos. Eben­so hoch ist aber auch das wirt­schaft­li­che Risi­ko, wenn das Ver­käu­fer­kon­to beschränkt wird. Eini­ge Unter­neh­men sind aus­schließ­lich über Ama­zon tätig, wes­halb eine Sper­re des Ver­käu­fer­kon­tos dem Ent­zug ihrer wirt­schaft­li­chen Exis­tenz­grund­la­ge gleich kommt.

Aus recht­li­cher Sicht sind die­se Fäl­le des­halb so beson­ders, weil sie einen kar­tell­recht­li­chen Kon­tra­hie­rungs­zwang gegen­über einer digi­ta­len Platt­form betref­fen. Hier­zu gibt es in ande­ren kon­ven­tio­nel­len, ana­lo­gen Bran­chen schon eini­ge Fall­pra­xis. Im digi­ta­len Bereich ist die Ent­wick­lung noch eher am Anfang, ent­wi­ckelt sich jedoch stets weiter.

Wie ist die Praxis bisher zu Kontosperren?

Dabei sind die Fäl­le und die recht­li­che Begrün­dung ein­fach erklärt: Weil Ama­zon so eine beson­de­re Bedeu­tung für den Online-Ver­trieb hat, weh­ren sich ver­mehrt Unter­neh­men gegen aus ihrer Sicht unbe­rech­tig­te Sper­ren ihrer Verkäuferkonten.

Grund­la­ge ist dabei regel­mä­ßig das Kar­tell­recht. Ver­stößt näm­lich ein markt­be­herr­schen­des Unter­neh­men gegen das Markt­macht­miss­brauchs­ver­bot, so ist es den Betrof­fe­nen gegen­über zur Unter­las­sung ver­pflich­tet. Ein Miss­brauch kann auch in einer Geschäfts­ver­wei­ge­rung und dabei in einer Kün­di­gung oder Sper­re lie­gen, sofern es kei­ne sach­li­che Recht­fer­ti­gung gibt. Ist es beson­ders dring­lich, dann kann der Unter­las­sungs­an­spruch im Rah­men einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung durch­ge­setzt wer­den. Das ist regel­mä­ßig dann der Fall, wenn über die­sen Weg ein exis­tenz­er­heb­li­cher Anteil der Umsät­ze gene­riert werden.

Der Fall beim LG Hannover

Über den Fall beim Land­ge­richt Han­no­ver war zunächst noch unklar, ob Ama­zon etwa Umstän­de für eine sach­li­che Recht­fer­ti­gung vor­tra­gen wür­de oder könn­te. Aller­dings hat­te die Platt­form das Kon­to zwi­schen­zeit­lich wie­der frei­ge­ge­ben, sodass sich die Ange­le­gen­heit wohl erle­digt hat und es dar­auf nicht mehr ankommt.

Das LG Han­no­ver stützt sich in sei­ner Ent­schei­dung auf die nicht ein­ge­hal­te­ne P2B-VO, wonach der­ar­ti­ge Sperr­ent­schei­dun­gen zu begrün­den sind. Und schließ­lich erging die Ent­schei­dung ohne münd­li­che Ver­hand­lung. Die inter­na­tio­na­le Zustän­dig­keit auf­grund der Brüs­sel-Ia-VO ist hier auch kein Pro­blem. Das Gericht knüpft hier­bei an den Erfül­lungs­ort an und nimmt sei­ne Zustän­dig­keit auf­grund von Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 Brüs­sel-Ia-VO an. Denn es gin­ge auch um die Fra­ge, ob die Antrag­stel­le­rin wei­ter­hin in der Lage sein kön­ne, ihre ver­trag­li­chen Rech­te zum Waren­ver­trieb über die Ama­zon-Platt­form wahrzunehmen.

So bestä­tigt sich die bis­he­ri­ge Pra­xis zu kar­tell­recht­li­chen Ent­sperr­an­sprü­chen gegen­über Amazon:

  1. Ama­zon ver­fügt in die­ser Kon­stel­la­ti­on über eine markt­be­herr­schen­de Stel­lung. Damit ist die­ses Unter­neh­men an das Ver­bot des Miss­brauchs einer markt­be­herr­schen­den Stel­lung gebun­den. Es gibt kei­ne Aus­sa­ge dazu, ob Ama­zon auch als rela­tiv markt­mäch­ti­ges Unter­neh­men gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB bewer­tet wur­de. Für die­sen abge­senk­ten Anwen­dungs­be­reich spricht eini­ges, da die Ver­käu­fer auf die Ver­mitt­lungs­tä­tig­keit bei Ama­zon ange­wie­sen sind und sich eine Inter­me­di­ärs­macht gut begrün­den lie­ße. Jeden­falls aber spricht eini­ges für eine platt­form­be­ding­te Abhängigkeit.
  2. In die­sen Fäl­len ist die Kon­to­sper­re ein Miss­brauch der markt­be­herr­schen­den Stel­lung. Ama­zon durf­te also nicht sper­ren und muss das Kon­to wie­der frei geben. Eben­so darf Ama­zon nicht die ein­ge­la­ger­te Ware ohne wei­te­res vernichten.
  3. Ein pau­scha­ler Ver­weis bei der Sper­re auf die eige­nen Nut­zungs­be­din­gun­gen genügt in die­ser Kon­stel­la­ti­on nicht den Anfor­de­run­gen der P2B-Ver­ord­nung, da kei­ne aus­rei­chen­de Begrün­dung gelie­fert wird. Das LG Han­no­ver begrün­det also ähn­lich wie das LG Mün­chen mit einer direk­ten Anwen­dung der P2B-Ver­ord­nung und nimmt dabei Wer­tungs­gleich­lauf an. Das wäre zwar nicht zwin­gend, da sich die Anfor­de­run­gen an die Begrün­dung auch aus dem all­ge­mei­nen Kar­tell­recht erge­ben. Aus die­sem Grund dürf­te die­se kon­kre­te Begrün­dung aber sogar hal­ten, selbst wenn man das anders sieht.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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