Gmail ist kein Telekommunikationsdienst – EuGH entscheidet über die Vorlage aus Deutschland

Der Email-Dienst Gmail ist kein elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst im Sin­ne des Art. 2 Rah­men­richt­li­nie, wie der EuGH ges­tern ent­schie­den hat (Az.: C‑193/18; ECLI:EU:C:2019:498). Damit steht – vor­läu­fig – fest, dass die­ser Dienst nicht gemäß § 6 TKG bei der BNetzA gemel­det wer­den muss­te. Um die­se Fra­ge ging es näm­lich im Aus­gangs­fall. Die Behör­de hat­te Goog­le zur Mel­dung des Diens­tes auf­ge­for­dert, was das Unter­neh­men ver­wei­ger­te. Auf den ers­ten Blick mag dies über­zo­gen wir­ken, ist es aber nicht. Denn die Vor­schrift des § 6 TKG und die dahin­ter­ste­hen­de Mel­dung bei der BNetzA mag harm­los klin­gen und hat zunächst kei­ne unmit­tel­ba­ren recht­li­chen oder tat­säch­li­chen Fol­gen, außer dass die Behör­de den jewei­li­gen Dienst auf­nimmt und in einer öffent­lich ein­seh­ba­ren Lis­te führt. Eine Vor­aus­set­zung aber, dass sich Unter­neh­men mel­den müs­sen, ist ihre Eigen­schaft als Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst – und die­se wol­len vie­le moder­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on­diens­te nicht erfüllt sehen. Denn es wäre sehr wahr­schein­lich, dass sie anschlie­ßend mit wei­te­ren regu­la­to­ri­schen Vor­schrif­ten kon­fron­tiert wer­den, z.B. Kun­den­schutz, der stren­ge­re TK-Daten­schutz und das Fern­mel­de­ge­heim­nis aus § 88 TKG, aber auch öffent­li­che Sicher­heit und Koope­ra­ti­ons­ver­pflich­tun­gen bei Ermitt­lun­gen. Das VG Köln stimm­te hier­zu noch der BNetzA zu. 

Was aber ein Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst nach deut­schem Recht ist, bestimmt § 3 Nr. 24 TKG, der wie­der­um im Sin­ne des Art. 2 Rah­men­richt­li­nie aus­zu­le­gen ist. Strei­tig – wie in vie­len ande­ren prak­ti­schen Fäl­len auch – war hier, ob Gmail als Dienst min­des­tens über­wie­gend der Signal­über­tra­gung dient. Dies ist bei soge­nann­ten OTT-Diens­ten häu­fig nicht so ein­fach fest­zu­stel­len wie bei her­kömm­li­chen lei­tungs­ba­sier­ten Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­ten, die über eine eige­ne phy­si­sche Infra­struk­tur ver­fü­gen. Denn die­se sat­teln im Wesent­li­chen auf der bestehen­den Inter­net-Infra­struk­tur auf, erbrin­gen ihre Leis­tun­gen also „over the top“. Goog­le hat­te hier­zu argu­men­tiert, dass Gmail nicht eigen­stän­dig Signa­le über­tra­ge, son­dern ledig­lich frem­de IP-Kon­nek­ti­vi­tät aus­nut­ze. Die Signal­über­tra­gung ande­rer wird hier­bei also vor­aus­ge­setzt. Dies sieht auch der EuGH so. Hier­zu aus sei­ner Begründung:

37 Dass der Erbrin­ger eines inter­net­ba­sier­ten E‑Mail-Diens­tes bei der Ver­sen­dung und dem Emp­fang von Nach­rich­ten aktiv tätig wird, sei es, indem er den E‑Mail-Adres­sen die IP-Adres­sen der ent­spre­chen­den End­ge­rä­te zuord­net oder die Nach­rich­ten in Daten­pa­ke­te zer­legt und sie in das offe­ne Inter­net ein­speist oder aus dem offe­nen Inter­net emp­fängt, damit sie ihren Emp­fän­gern zuge­lei­tet wer­den, reicht nicht aus für die Ein­stu­fung die­ses Diens­tes als im Sin­ne von Art. 2 Buchst. c der Rah­men­richt­li­nie „ganz oder über­wie­gend in der Über­tra­gung von Signa­len über elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­ze bestehen[d]“.

In der Vor­la­ge gab es dem­nach kei­ne Umstän­de, die auf eine Ver­ant­wort­lich­keit Goo­gles für die Signal­über­tra­gung hin­deu­ten. Dies wäre jetzt wie­der­um Sache des vor­le­gen­den Gerichts, also des OVG Münster.

In der Woche davor hat­te der EuGH bereits einen ande­ren Fall zur Aus­le­gung eines Diens­tes ent­schie­den (Az.: C‑193/18; ECLI:EU:C:2019:498). Dort ging es um ein Ange­bot, das über VoIP Anru­fe in das bestehen­de Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­netz ermög­lich­te. Hier­bei sah das Gericht die Signal­über­tra­gung und die Eigen­schaft des Diens­tes als elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst gegeben.

Wel­chen grö­ße­ren Zusam­men­hang gibt es? Der­zeit zeich­nen sich Ände­run­gen im euro­päi­schen Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­recht auf­grund des EECC (Euro­pean Elec­tro­nic Com­mu­ni­ca­ti­ons Code) ab. Hier­nach soll zukünf­tig eine daten­schutz­recht­li­che Regu­lie­rung der OTTs aus­drück­lich ermög­licht wer­den. Die Bewer­tung der über­wie­gen­den Signal­über­tra­gung wird damit aber nicht über­flüs­sig. Bereits seit eini­ger Zeit wer­den die ver­schie­de­nen euro­pa­recht­li­chen Grund­la­gen über­ar­bei­tet und kon­so­li­diert, sodass auch dem­nächst eine Ände­rung im deut­schen Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­recht erwar­tet wer­den kann. So ist im EECC der­zeit eine Erwei­te­rung des Begriffs elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst geplant. Die­ser wird in drei Grup­pen auf­ge­teilt, die wie­der­um unter­schied­lich regu­liert wer­den. Für OTT-Diens­te wur­de hier­für der Rechts­be­griff inter­per­so­nel­ler Kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst geschaf­fen, der wie­der­um im EECC danach unter­schied­lich behan­delt wer­den soll, ob er num­mern­ge­bun­den oder num­mern­un­ab­hän­gig ist. Die­ser Begriff ist maß­geb­lich für die außer­dem anste­hen­de ePri­va­cy-Ver­ord­nung, die zusam­men­ge­fasst damit daten­schutz­recht­li­che Vor­schrif­ten auf die­se erfass­ten Diens­te aus­wei­tet. Dane­ben wer­den wei­ter­hin zahl­rei­che tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­recht­li­che Vor­schrif­ten dar­an anknüp­fen, dass der Dienst der über­wie­gen­den Signal­über­tra­gung dient. Für die­se Fra­ge behält die gest­ri­ge EuGH-Ent­schei­dung wei­ter­hin ihre Bedeu­tung. Die drit­te Kate­go­rie im EECC, die von die­ser Dis­kus­si­on aber nicht betrof­fen ist, erfasst die Internetzugangsdienste.

Wel­chen Zusam­men­hang gibt es nicht? Eini­ge Daten­schutz­be­hör­den in Deutsch­land ver­tre­ten die Ansicht, auch ein Arbeit­ge­ber wer­de dann zum Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te­an­bie­ter, wenn er sei­nen Mit­ar­bei­tern erlau­be, den dienst­li­chen Inter­net-Anschluss auch pri­vat zu nut­zen. Dies stützt sich dar­auf, dass der Arbeit­ge­ber – ver­meint­lich – die bestehen­den Anschlüs­se öffent­lich anbie­te. Er wäre damit unmit­tel­bar selbst an eini­ge der Vor­schrif­ten aus dem TKG gebun­den. Die­se Aus­le­gung wird zurecht immer wie­der vor allem von den Arbeits­ge­rich­ten abge­lehnt, hält sich aber in der Kom­men­tar­li­te­ra­tur. Die Ent­schei­dung des EuGH bezieht sich jedoch auf den tech­ni­schen Vor­gang der Signal­über­tra­gung und lässt sich des­halb nicht übertragen.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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