… sind die meisten Anwälte nicht systemrelevant, aber…

Die Coro­na-Kri­se bewegt die Welt. Jeden Moment auf den nächs­ten fol­gen neue Ent­wick­lun­gen. Die Infek­ti­ons­zah­len stei­gen und damit ein­grei­fen­der wer­den die Maß­nah­men, um auf die Pan­de­mie zu reagie­ren und mög­lichst vie­len Men­schen zu hel­fen. In die­ser Zeit tritt gele­gent­lich der Begriff „sys­tem­re­le­van­te Berufs­grup­pe“ auf und kam auch in eine kur­ze Twit­ter-Dis­kus­si­on dar­über, ob Anwäl­te davon erfasst sind. Der Deut­sche Anwalt­ver­ein hat hier­zu die For­de­rung auf­ge­stellt, pau­schal Anwäl­te als sys­tem­re­le­van­te Berufs­grup­pe ein­zu­ord­nen und auch ihnen eine Not­be­treu­ung ihrer Kin­der sicherzustellen.

Dem wider­spre­che ich nicht und es folgt hier­zu kein „Aber“. Denn gera­de in die­sen Momen­ten, wäh­rend ich die­sen kur­zen Bei­trag schrieb und Sie ihn lesen, kämp­fen Men­schen für ande­re Men­schen gegen den Virus, for­schen an Impf­stof­fen, behan­deln Kran­ke – auch die­je­ni­gen, die bereits ohne den Virus behan­delt wer­den müs­sen -, des­in­fi­zie­ren und rei­ni­gen, orga­ni­sie­ren Lösun­gen für schein­bar längst abge­hak­te Pro­ble­me, stel­len die Grund­la­gen der öffent­li­chen Sicher­heit und Ord­nung sicher oder set­zen sich in sons­ti­ger Wei­se ein. Ich habe sicher nicht alle auf­ge­zählt, man möge mir dies ver­zei­hen. Sicher bin ich mir aber, dass Anwäl­te in den meis­ten Fäl­len nicht dazu gehören.

Wich­tig sind sie den­noch als Beglei­ter in der Kri­se. So sind der­zeit zahl­rei­che Aus­nah­me­ent­schei­dun­gen zu tref­fen und auch die Kri­se selbst ist Gegen­stand für eini­ge der von mir ver­tre­te­nen Rechts­ge­bie­te. Denn zum einen stellt sie auch eine Belas­tung für Res­sour­cen und Infra­struk­tu­ren dar und machen die­se der­zeit beson­ders sen­si­bel. Für die­se besteht – teil­wei­se durch oder auf­grund gesetz­li­cher Anord­nung – Sys­tem­re­le­vanz. Ihre Betrei­ber müs­sen ihre Sicher­heit und den Bestand auf­recht erhal­ten. Ent­spre­chend müs­sen sie erfor­der­li­che und ange­mes­se­ne Maß­nah­men ergrei­fen. Davon ist vie­les auch jetzt Rou­ti­ne, aber auch eini­ges unvor­her­ge­se­hen. Ent­spre­chend müs­sen Betrei­ber und ande­re Unter­neh­men Ent­schei­dun­gen tref­fen, Ent­wick­lun­gen ansto­ßen. Sys­tem­re­le­vanz hat hier also auch einen regu­la­to­ri­schen Bezug. Zum ande­ren schafft sie trotz ihrer Schre­cken auch Gele­gen­hei­ten. Zum Bei­spiel wer­den jetzt von eini­gen Unter­neh­men Bemü­hun­gen ange­sto­ßen, um Mit­ar­bei­ter vor Infek­tio­nen zu schüt­zen, indem man ihnen die Arbeit im Home­of­fice ermög­licht. Digi­ta­le Kon­fe­renz­lö­sun­gen pro­fi­tie­ren eben­so wie zahl­rei­che ande­re digi­ta­le Ange­bo­te – und es dürf­ten noch eini­ge ande­re wirt­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen eintreten.

Wel­che Bedeu­tung kann ich hier­bei als Anwalt haben? Ich kann zum Bei­spiel bei der Ent­schei­dungs­fin­dung unter­stüt­zen, ob sie sich noch in dem gel­ten­den Rechts­rah­men bewegt. Gera­de im regu­la­to­ri­schen Umfeld mei­ner Bera­tung ermög­li­chen die Vor­schrif­ten häu­fig Hand­lung­spiel­räu­me inner­halb spe­zi­fi­scher Rah­men­be­din­gun­gen. Es obliegt, aber ermög­licht auch den Unter­neh­men, Lösun­gen zu suchen. Noch brei­ter ist hier­bei das Kar­tell­recht, das grund­sätz­lich ent­wick­lungs­of­fen ist. Das bedeu­tet, dass es im Ver­gleich zu den man­nig­fal­ti­gen Hand­lungs­mög­lich­kei­ten des rea­len Lebens nur eine eher über­schau­ba­re Grup­pe an Hand­lun­gen ver­bie­tet. Dyna­mi­sche Ent­wick­lun­gen ermög­li­chen Spiel­räu­me, die nicht von die­sen Ver­bo­ten erfasst sind, zum Bei­spiel im For­schungs­be­reich oder für kri­sen­be­wäl­ti­gen­de Koope­ra­tio­nen. Das sind auch wich­ti­ge The­men, aber ich ret­te kei­ne Men­schen und ich kämp­fe nicht mit mei­ner pro­fes­sio­nel­len Leis­tung gegen den Virus.

Ohne sys­tem­re­le­vant zu sein, kann ich den­noch als Anwalt unter­stüt­zen, von zuhau­se, unter­wegs oder sonst­wo und not­falls mit Kind auf dem Arm. Dabei bin ich auf die Tätig­keit der „sys­tem­re­le­van­ten Berufs­grup­pen“ und eini­ger mehr ange­wie­sen und dan­ke Ihnen des­halb an die­ser Stel­le! Die­se Per­so­nen sind in der Kri­se eine wich­ti­ge Sys­tem­res­sour­ce, wir Anwäl­te sind wie immer nur wich­ti­ge Beglei­ter, deren recht­li­che Pri­vi­le­gi­en ander­wei­tig geschützt sind.

Die For­de­rung des Deut­schen Anwalt­ver­eins tra­ge ich in sei­ner Brei­te nicht mit und zwar aus meh­re­ren Grün­den. Zunächst wird es etwas tech­nisch. Und zwar wird der Begriff der Sys­tem­re­le­vanz in die­sem Zusam­men­hang dafür gebraucht, um die soge­nann­te Not­be­treu­ung für Kin­der zu recht­fer­ti­gen. Eltern, die sys­tem­re­le­van­te Beru­fe aus­üben, sol­len ihre Kin­der den­noch betreut wis­sen, gera­de damit sie ihren Beruf aus­üben. Für alle ande­ren Kin­der, also die von Eltern ohne sys­tem­re­le­van­te Beru­fe, ist die Kita oder Schu­le geschlos­sen und ein Zutritt ver­bo­ten. Damit soll ein Schutz der wei­te­ren Virus­ver­brei­tung erreicht wer­den, eben­so aber auch die­ser Eltern. Gleich­wohl ist die Schlie­ßung wie­der­um eine Aus­nah­me von dem grund­sätz­lich vor­be­halt­lo­sen Anspruch auf Betreu­ung. Der Staat kommt also der­zeit sei­ner grund­sätz­li­chen und vor­be­halt­lo­sen Pflicht nicht nach, die Kin­der­be­treu­ung jedem gegen­über sicher­zu­stel­len. Statt aber die rechts­po­li­ti­schen Fol­gen die­ser Ent­schei­dung zu dis­ku­tie­ren, sie zu hin­ter­fra­gen und ins­be­son­de­re sich für bes­se­re Bedin­gun­gen der Eltern ein­zu­set­zen – die Moti­va­ti­on und Fähig­keit vie­ler Arbeit­ge­ber (auch Kanz­lei­en), ihre Mit­ar­bei­ten­den im home­of­fice arbei­ten zu las­sen, ist doch eher mäßig – sol­len nach Ansicht des Anwalt­ver­eins auch Anwäl­te zu die­ser pri­vi­le­gier­ten Grup­pe gehö­ren. Und schließ­lich besteht nach dem Wort­laut eini­ger Schlie­ßungs­ver­fü­gun­gen immer­hin die Mög­lich­keit einer Prü­fung im Ein­zel­fall, ob doch aus­nahms­wei­se eine Not­be­treu­ung sicher­ge­stellt wer­den muss, obwohl kei­ne Zuge­hö­rig­keit zur sys­tem­re­le­van­ten Berufs­grup­pe besteht. Das könn­te auch Anwäl­te betref­fen, sofern ihre Arbeit so über­ra­gend wich­tig ist, dass sie selbst in die­ser Aus­nah­me­si­tua­ti­on nicht mit der Heim­be­treu­ung des eige­nen Kin­des erbracht wer­den kann. Man mag die Schlie­ßung der Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen recht­lich für rich­tig oder falsch hal­ten: im ers­ten Fall ver­schließt der DAV die Augen vor den Pro­ble­men, im Zwei­ten kommt es der For­de­rung nach Gleich­be­hand­lung im Unrecht gleich. Viel­leicht setzt sich der Ver­ein lie­ber für fle­xi­ble­re Arbeits­be­din­gun­gen und einen Aus­gleich der durch die Schlie­ßung ent­stan­de­nen Här­ten für die betrof­fe­nen Eltern ein.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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