Vor einigen Wochen hat der EuGH in seiner Entscheidung Enel/Google entschieden, dass Google grundsätzlich verpflichtet ist, in angemessener Zeit Templates für Drittanbieter-Apps bereitzustellen. Ausnahmen gelten allein, wenn eine Gefährdung der Sicherheit und Integrität der Plattform nachgewiesen wäre. Das Plattformunternehmen muss also mit anderen Worten Interoperabilität herstellen.
Das Unternehmen kann sich in diesen Fällen nicht mehr mit dem Argument verteidigen, ein derartiger Zugang sei noch nicht eröffnet. Es muss diesen Zugang vielmehr adäquat technisch ermöglichen, wenn es sich um eine derartige Plattform wie bei Google etwa handelt. Genügt das Unternehmen diesen Anforderungen nicht, kann dies einen Marktmachtmissbrauch darstellen.
Für die Praxis wird die Gewährleistung von Interoperabilität über Templates damit zu einem Schlüsselthema. Wettbewerb muss auf Plattformen stattfinden und Templates können als technisches Mittel zur Integration der Drittanbieter gesehen werden.
Dieser Beitrag befasst sich mit der kartellrechtlichen Bewertung dieser Anforderungen zur Vermeidung von missbräuchlichen Zugangsbeschränkungen.
Herausforderungen bei verpflichtenden Templates
Der EuGH lässt in seiner Entscheidung die technischen Fragen zu den Templates offen. Diese dürften allein unter sehr konsequenter Anwendung des Marktmachtmissbrauchsverbots zu lösen sein. Es kann also auf den Einzelfall ankommen, ob schon proprietäre Templates ausreichen oder sogar einheitliche Standards definiert werden müssen. Letzteres kann insbesondere dann relevant werden, wenn Interoperabilität nicht allein bedeutet, dass eine App auf der Plattform läuft, sondern dass diese App auch weiterhin als bisheriges Angebot in sich konsistent bleibt.
Mit anderen Worten: Das Template darf nicht die Sicherheit und Integrität der jeweiligen Drittanbieter-Apps gefährden. Da aber zahlreiche Anbieter mit unterschiedlichen technischen Gegebenheiten arbeiten, muss sich auch der Plattformbetreiber hieran ausrichten. Das bedeutet, dass der Betreiber der Plattform seine Templates mit den — also allen — bestehenden Systemen der Drittanbieter kompatibel machen muss, gegebenenfalls auch abwärts. Dies schließt Wartung und Updates mit ein.
Rechtlich stützt sich eine derartige Pflicht auf das allgemeine Missbrauchsverbot, verbunden mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Zusätzlich wird nach der geltenden Rechtsprechung der Plattformbetreiber daran gebunden sein, Drittanbieter-Apps nicht anders als seine eigenen Apps zu behandeln. Dies verlangt eine sehr starke Integration in das gesamte Plattform-Ökosystem. Der Plattformbetreiber hat also keine Gestaltungshoheit mehr, einzelne Appanbieter ohne sachliche Begründung pauschal auszuschließen. Allein seine grundsätzliche strategische Entscheidung, die Plattform nicht ausschließlich für eigene Zwecke zu nutzen, sondern gegenüber Dritten zu öffnen, führt ihn zu den zusätzlichen regulatorischen Pflichten.
Ausnahmen von diesen regulatorischen Pflichten sieht der EuGH nur noch in engen Bereichen. Allein die Kapazität oder die wirtschaftlichen Ressourcen des marktbeherrschenden Unternehmens reichen nicht aus. Lediglich wenn konkret nachgewiesen würde, dass der konkrete Zugang die Integrität und Sicherheit des Unternehmens gefährdet, dann soll eine Verweigerung zulässig sein.
Kein “Zu teuer” als Ablehnungsgrund
Marktbeherrschende Plattformunternehmen mit für Drittanbieter geöffneter Struktur müssen also in angemessener Zeit Templates bereitstellen. Sie können sich nicht allgemein mit dem Argument entlasten, dies sei mit erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden. Diese zusätzlichen regulatorischen Pflichten aus dem Marktmachtmissbrauchsverbot entsprechen vielmehr der besonderen zusätzlichen Verantwortung für den Restwettbewerb, der durch die Anwesenheit des Marktbeherrschers bereits geschwächt ist. Dem entspricht es, ihm die Implementierungskosten für die Templates grundsätzlich zunächst aufzuerlegen.
Der EuGH lässt in seiner Entscheidung hierzu offen, ob das marktbeherrschende Unternehmen die Kosten für das Template auf den Zugangsnachfrager umlegt. Zu den Möglichkeiten an sich äußert sich das Gericht aber. Siehe hierzu den dritten Leitsatz aus seiner Entscheidung Enel/Google:
“Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Verhalten, das darin besteht, dass sich ein Unternehmen in beherrschender Stellung weigert, die Interoperabilität einer von einem Drittunternehmen entwickelten Anwendung mit einer digitalen Plattform, deren Inhaber das Unternehmen in beherrschender Stellung ist, zu gewährleisten, als Missbrauch im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, das letztgenannte Unternehmen sich als objektive Rechtfertigung für seine Weigerung mit Erfolg darauf berufen kann, dass es zu dem Zeitpunkt, zu dem das Drittunternehmen um einen solchen Zugang ersucht hat, kein Template gab, das die Interoperabilität gewährleisten kann, wenn die Gewährung einer solchen Interoperabilität mittels dieses Templates für sich genommen und in Anbetracht der Eigenschaften der Anwendung, für die die Interoperabilität beantragt wird, die Integrität der betreffenden Plattform oder die Sicherheit ihrer Benutzung gefährden würde oder wenn es aus anderen technischen Gründen unmöglich wäre, diese Interoperabilität durch die Entwicklung dieses Templates zu gewährleisten. Ist dies nicht der Fall, ist das Unternehmen in beherrschender Stellung verpflichtet, ein solches Template innerhalb eines hierfür erforderlichen angemessenen Zeitraums und gegebenenfalls gegen eine angemessene finanzielle Gegenleistung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Drittunternehmens, das um diese Entwicklung ersucht hat, der tatsächlichen Kosten dieser Entwicklung und des Rechts des Unternehmens in beherrschender Stellung, daraus einen angemessenen Nutzen zu erzielen, zu entwickeln.”
EuGH, Urt. v. 25.2.2025 — C‑233/23
Vom EuGH lassen sich mehrere Aussagen zu Preisen und Kosten bei der Bereitstellung von Templates ableiten:
- Angemessenheit: Die finanzielle Gegenleistung muss angemessen sein und ist als solche der Marktmachtmissbrauchskontrolle unterworfen.
- Bedarfsgerechtheit: Das Template muss den Bedürfnissen des Drittunternehmens entsprechen, hat sich also grundsätzlich an seiner Nachfrage zu orientieren, wobei gestalterische Ablehnungen streng an den Maßstäben der nur ausnahmsweisen Zugangsverweigerung zu messen sind.
- Anfallungsprinzip: Die tatsächlichen Entwicklungskosten dürfen beachtet werden, müssen also erforderlichenfalls nachweisbar sein.
- Vorteilsanrechnung: Das marktbeherrschende Unternehmen darf grundsätzlich aus dem Template auch einen Nutzen ziehen, es muss also nicht vollständig fremdnützig gestaltet werden. Die Vorteile dieses Nutzens muss sich das marktbeherrschende Unternehmen anrechnen lassen.
Insbesondere wenn also sogar eine Bereitschaft des Zugangsnachfragers zur teilweisen Kostentragung oder sogar Übernahme der erforderlichen Entwicklungskosten besteht, dürfte ein Kostenargument des Plattformbetreibers nicht mehr erheblich sein. Dies kann auch eine Strategie des Nachfragers sein, wenn er zügig den Zugang erreichen möchte. Damit wird der Druck auf Plattformbetreiber steigen, nachfragegerecht und kostengünstig hochqualititaive Zugangstemplates herzustellen.
Hierzu eine Einzelfrage: Muss erstens der Plattformbetreiber lediglich einen Zugang ermöglichen oder drüber hinaus wirtschaftlich tragfähige Lösungen anbieten? Diese qualitative Frage richtet sich auch danach, was anderen Unternehmen bereitgestellt wird. Es lässt sich regelmäßig nicht begründen, warum ein Unternehmen lediglich einen minderwertigen Zugang erhält, wenn andere und insbesondere die eigenen App-Anbieter einen hochperformanten Zugang nutzen können.
Wie können sich Unternehmen zur Vermeidung von Zugangsverweigerungen proaktiv absichern?
Für Plattformbetreiber empfiehlt sich, bei einer derart offenen Plattform frühzeitig die entsprechenden Zugangsrichtlinien und technischen Anforderungen zu definieren. Das kann auch Informationen über Schnittstellen umfassen, sodass Drittanbieter weitgehend allein in der Lage wären, ihre Apps interoperabel zu erstellen. Dabei sollten sie auch beachten, dass nur bestimmte legitime Interessen noch ausreichend sind, um eine Zugangsverweigerung zu begründen. Diese können und sollten genau definiert werden.
Weiterhin sollten die erforderlichen Kosten für die Herstellung von Templates frühzeitig alloziiert und nachweisbar gemacht werden. Das mag für einfachere Templates noch nicht erforderlich sein. Regelmäßig werden viele Nachfrager auch keinen Bedarf an weiteren Nachweisen über die Kosten haben. Allerdings werden sich früh genug Streitfälle ergeben, in denen vorbereitete Daten über die Kosten sehr hilfreich sein können.
Für Drittanbieter empfiehlt es sich, die technischen Anforderungen für den Zugang rechtzeitig zu erfüllen. Insbesondere geht es dabei um die Widerlegung sämtlicher etwaiger sicherheitsrelevanter Einwände gegen den Zugang. Sofern die eigene App des Drittanbieters die Sicherheit und Integrität der Plattform nicht gefährdet, muss ein Template bereitgestellt werden und ist ihm Zugang zu gewähren. Diesen regulatorischen Hebel aus der EuGH-Entscheidung Enel/Google kann ein Unternehmen für sich nutzen.
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