Die sogenannte Kraftfahrzeug-Gruppenfreistellung (KFZ-GVO) wurde um weitere fünf Jahre verlängert. Sie gilt in der aktuellen Fassung bis zum 31.5.2028. Inhaltlich hat sich am Verordnungstext selbst nichts geändert. Die Regelungen wurden beibehalten. Dies hat eine vorherige Evaluation ergeben. Die Verordnung muss nun noch im Amtsblatt veröffentlicht werden.
Allerdings hat die Kommission ihre ergänzenden Leitlinien etwas mehr überarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Mitteilung zur Auslegung und Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften in diesem Bereich. Sie ist unverbindlich, wird jedoch als gewichtige Argumentationshilfen herangezogen. Der letzte Stand hierzu lag noch auf dem Jahr 2010. In einem zehnseitigen Dokument hat die Kommission verschiedene neue Randnummern aufgenommen.
Ein Teil davon beschäftigt sich im Wesentlichen mit Daten, wie auch an den zusätzlich eingefügten Titel deutlich wird:
- Zugang unabhängiger Marktteilnehmer zu wesentlichen Inputs
- Technische Informationen
- Fahrzeuggenerierte Daten
- Werkzeuge und Schulungen
- Sonstige Erwägungen
Zugang unabhängiger Marktteilnehmer zu wesentlichen Inputs
In Rn. 62 wird zunächst klargestellt, dass ein rein qualitativer Selektivvertrieb unter Einhaltung spezifischer Voraussetzungen schon nicht unter das Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen kann. Beim Selektivvertrieb werden gezielt bestimmte Unternehmen aus dem Vertriebssystem ausgeschlossen. Vereinbarungen zum qualitativen Selektivvertrieb könnten danach wiederum gegen das Verbot aus Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, wenn durch diese Vereinbarungen ein Ausschluss unabhängiger Marktteilnehmer vom Markt bewirkt wird. Unabhängige Marktteilnehmer sind hiernach unabhängige Werkstätten, Ersatzteilehersteller und ‑händler, Hersteller von Werkstattausrüstung oder Werkzeugen und entsprechende Händler, Herausgeber von technischen Informationen und fahrzeuggenerierten Daten, Automobilclubs, Pannenhilfsdienste, Anbieter von Inspektions- und Prüfdienstleistungen und Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung für Werkstattmitarbeiter.
Mit anderen Worten adressiert die Kommission hier verschiedene Sekundärmärkte und nachgelagerte Märkte zum Kraftfahrzeugvertrieb.
Als Beispiel für gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßende Vereinbarungen führt die Kommission hier auf, dass diesen unabhängigen Marktteilnehmern Inputs vorenthalten werden. Folgende Inputs sieht die Kommission als relevant an:
- für die Instandsetzung und Wartung erforderlichen technischen Informationen,
- Werkzeuge,
- Schulungen,
- fahrzeuggenerierte Daten
In Rn. 62a erläutert die Kommission, nach welchen Aspekten geprüft werden sollte, ob das Vorenthalten eines bestimmten Inputs gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt. Erstens soll es darauf ankommen, ob der Input eine wesentliche Bedeutung für die unabhängigen Marktteilnehmer hat. Das sei dann der Fall, wenn sich die Vorenthaltung erheblich auf deren Fähigkeit auswirkt, ihre Tätigkeiten durchzuführen und Wettbewerbsdruck auszuüben. Zweitens soll die Diskriminierungsfreiheit geprüft werden. Wird der Input Mitgliedern des jeweiligen Netzes zugelassener Werkstätten zur Verfügung gestellt, so soll dies auch gegenüber unabhängigen Marktteilnehmern erfolgen. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen Marktmacht und lässt sich auch auf Inputs in anderen Branchen übertragen, zum Beispiel Ersatzteile für hochwertige Güter. Die diskriminierende Vorenthaltung würde dann schon einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen, nicht nur Art. 102 AEUV.
Drittens soll es darauf ankommen, ob der Input entweder für die Instandsetzung und Wartung von Kraftfahrzeugen oder aber für andere Zwecke wie die Herstellung von Ersatzteilen oder Werkzeugen genutzt wird. Zum ersten Fall zählt die Kommission Informationen, die Herausgebern zwecks Weiterleitung an Kfz-Werkstätten zur Verfügung gestellt werden. Eine Vorenthaltung würde hierbei den Sekundärmarkt für Reparaturen beschränken und wäre zudem vor dem Hintergrund von Art. 61 Verordnung (EU) 2018/858 kritisch. Auch der wettbewerbliche Zweck des Einbaus eines Ersatzteils in ein Kraftfahrzeug oder die Verwendung eines Werkzeugs an einem Kraftfahrzeug wird erfasst. Zum zweiten Fall der anderen Zwecke zählt die Kommission solche Informationen, die Design, Produktionsverfahren oder bei der Herstellung eines Ersatzteils verwendete Materialien betreffen. Diese sollen grundsätzlich vorenthalten werden können. Das lässt sich damit erklären, dass diese Informationen den Qualitätswettbewerb betreffen, der im Rahmen eines zulässigen qualitativen Selektivvertriebs gefördert wird.
Die Kommission sieht grundsätzlich die Möglichkeit einer sachlichen Rechtfertigung bei Sicherheitsbedenken. Das gilt jedoch nur, wenn die Vorenthaltung des Inputs verhältnismäßig ist und keine weniger einschneidenden Maßnahmen bestehen. Die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen müssten die Sicherheitsgründe also notfalls belegen. Es reicht also keine allgemeine Schutzbehauptung aus, um irgendeinen Grund zu erfinden.
Technische Informationen
Die Kommission unterscheidet zwischen auch zwischen technischen und kommerziellen Informationen. Kommerzielle Informationen sind für die Instandsetzung und Wartung der Kfz danach nicht erforderlich. Beispielhaft erfasst die Kommission Abrechnungssoftware oder Abrechnungssätze. Sie sind regelmäßig kein wesentlicher Input und dürfen deshalb rechtmäßig vorenthalten werden.
Bei technischen Informationen ist dies anders. Sie lassen sich zwar nicht fest umreißen und damit definieren. In Rn. 66 listet die Kommission nicht abschließend auf, was jedenfalls von dem Begriff umfasst wäre:
- Software,
- Fehlercodes,
- sonstige Parameter einschließlich entsprechender Updates, die erforderlich sind, um in elektronischen Steuergeräten, modernen Fahrerassistenzsystemen und Batteriemanagementsystemen von Elektrofahrzeugen vom Anbieter empfohlene Einstellungen vorzunehmen oder wiederherzustellen,
- Kraftfahrzeug-Identifizierungsnummern und andere Kraftfahrzeug-Identifizierungsmethoden,
- Teilekataloge,
- Instandsetzungs- und Wartungsverfahren,
- Arbeitslösungen, die sich aus praktischen Erfahrungen ergeben und sich auf typische Probleme bei einem bestimmten Modell oder einer bestimmten Serie beziehen,
- Rückrufanzeigen und sonstige Mitteilungen über Reparaturarbeiten, die innerhalb des Netzes zugelassener Werkstätten kostenlos durchgeführt werden können,
- Ersatzteilnummer und anderen Informationen, die erforderlich sind, um das korrekte Ersatzteil mit Markenzeichen des Kraftfahrzeugherstellers für ein bestimmtes Kraftfahrzeug zu ermitteln,
- für die Installation bestimmter Ersatzteile benötigte Aktivierungscodes.
Für die Ersatzteilinformationen stellt die Kommission in einer Fußnote klar, dass unabhängige Marktteilnehmer nicht gezwungen sein sollten, das betreffende Ersatzteil zu erwerben, um Zugang zu den relevanten Informationen zu erhalten.
Sofern die technischen Informationen den Kriterien aus Rn. 62a entsprechen, sind sie grundsätzlich wesentlich und sollten deshalb nicht vorenthalten werden. Dabei sieht die Kommission ein Gleichlaufen mit den Zugangsansprüchen zu Reparatur- und Wartungsinformationen aus der Verordnung (EU) 2018/858 vor. Nicht erforderlich sei aber vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV, dass die Informationen in einem standardisierten Format oder über ein bestimmtes technisches System bereit gestellt werden.
Fahrzeuggenerierte Daten
Rn. 67a enthält spezifische Aussagen zu sogenannten fahrzeuggenerierten Daten. Bereits aus der Beschreibung geht hervor, dass es sich hierbei um Daten handelt, die spezifisch durch die Nutzung des Fahrzeugs generiert werden. Auch für diese gelten die Erwägungen in den Rn. 62 ff., insbesondere der Rn. 62a zur Feststellung, ob die fahrzeuggenerierten Daten einen wesentlichen Input darstellen. Das bedeutet ausdrücklich, dass Vereinbarungen über die Vorenthaltung von fahrzeuggenerierten Daten am Maßstab von Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen sind.
Werkzeuge und Schulungen
Nicht unmittelbar Daten, aber auch einen wesentlichen Input können Werkzeuge oder Schulungen darstellen. Werkzeuge meint dabei nicht allein phyische Geräte, sindern schließt elektronische Diagnose- und andere Reparaturwerkzeuge, einschließlich der einschlägigen Software und regelmäßiger Updates, sowie Kundendienstleistungen für derartige Werkzeuge mit ein. Sofern diese nach dem Maßstab der Rn. 62a ein wesentlicher Input sind, sollten auch unabhängigen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen.
Sonstige Erwägungen
Keine Aussage trifft die Kommission an diesen vorgehend aufgelisteten Randnummern allerdings zu Art. 102 AEUV. Sollte eine Information dahingehend so wesentlich sein, dass ihre Vorenthaltung eine missbräuchliche Geschäftsverweigerung darstellt, könnten Unternehmen sogar den Zugang beanspruchen. Dies stellt sie abschließend und für alle Fallgruppen zusammenfassend in Rn. 68a fest:
Die Vorenthaltung eines bestimmten Inputs, z. B. eines wesentlichen Inputs, der unter eine der unter den Randnummern 62 bis 68 dieser Leitlinien genannten Kategorien fällt, einschließlich der Vorenthaltung fahrzeuggenerierter Daten, die den Mitgliedern des betreffenden Netzes zugelassener Werkstätten von den Kraftfahrzeugherstellern nicht zur Verfügung gestellt werden, kann einen Missbrauch im Sinne des Artikels 102 AEUV darstellen, wenn ein marktbeherrschender Anbieter einen solchen Input unabhängigen Marktteilnehmern vorenthält.10
Bemerkenswert deutlich ist hierzu die Fußnote 10 am Ende der Randnummer 68a: Danach gelten die für die Missbräuchlichkeit von Lieferverweigerungen nach Art. 102 AEUV zugrunde gelegten Kriterien aus der Rechtsprechung der Unionsgerichte, vgl. allein schon Bronner. Mit anderen Worten gelten auch für wesentliche Inputs und damit Daten die Grundsätze der Essential Facilities Doctrine. Diese Aussage ist besonders hilfreich. Denn in der anwaltlichen Praxis begegne ich noch gelegentlich dem Einwand, die Bronner-Rechtsprechung sei auf Daten nicht anzuwenden. Das machte bislang schon keinen Sinn. Umso erfreulicher ist deshalb jetzt auch diese Klarstellung.