Verschiedene Luxusgüter dürfen seit dem Überfall auf die Ukraine nicht mehr nach Russland exportiert werden. Hierzu zählen unter anderem Luxusuhren und Ersatzteile. Die Hersteller sind mittlerweile gesetzlich zur Umsetzung verpflichtet. Einige hatten sich bereits autonom nach dem Kriegsbeginn für eine Einstellung der Geschäftsbeziehungen entscheiden. Für die russischen Märkte und dort vertretene Unternehmen wie auch Konsumenten ist dies einschneidend.
Dieser Beitrag soll eine wettbewerbsrechtliche Einordnung zu den Möglichkeiten geben, wie Hersteller von Luxusuhren die Belieferung mit ihren Marken einstellen können. Gleichzeitig sollen die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten erfasst werden, etwa wie sich Unternehmen gegen einen Lieferstopp wehren können.
Welche Anlässe gibt es?
Denkbar sind verschiedene Konstellationen, in denen Hersteller sich für einen Lieferstopp entscheiden: Das kann zum einen die Umsetzung von außenwirtschaftsrechtlichen Verpflichtungen sein. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn bestimmte wirtschaftliche Verhaltensweisen ausdrücklich untersagt werden. So können etwa im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bestimmte Handlungen und Rechtsgeschäfte untersagt werden. In diesen Fällen läge gleich schon die Rechtfertigung eines Lieferstopps in der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung. Schon im März 2022 wurde im vierten Sanktionspaket etwa ein Exportverbot für Luxusgüter beschlossen, gerade um die Mitglieder der Elite in Russland zu treffen. So wurde in der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (Russland-Sanktionenverordnung) folgender Art. 3h eingeführt:
“(1) Es ist verboten, in Anhang XVIII aufgeführte Luxusgüter unmittelbar oder mittelbar an natürliche oder
Art. 3h Verordnung (EU) 833/2014
juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen,
zu liefern, zu verbringen oder auszuführen.
(2) Sofern im Anhang nichts anderes bestimmt ist, gilt das Verbot gemäß Absatz 1 für in Anhang XVIII aufgeführte Luxusgüter, deren Wert 300 EUR je Stück übersteigt.
(3) Das Verbot gemäß Absatz 1 gilt nicht für Güter, die für die amtliche Tätigkeit diplomatischer oder
konsularischer Missionen der Mitgliedstaaten oder Partnerländer in Russland oder internationaler Organisationen, die nach dem Völkerrecht Immunität genießen, erforderlich sind, oder für die persönlichen Güter ihrer Mitarbeiter.”
Von der Verordnung sind alle natürlichen oder juristischen Personen betroffen, die sich in Russland befinden, also etwa auch Unternehmen. Für diese gilt also ein verpflichtender Lieferstopp. Der bezeichnete Anhang listet dann die betroffenen Luxusgüter auf. Die Bezeichnung erfolgt nach der europäischen Warennomenklatur, auch kombinierte Nomenklatur bezeichnet. Erfasst sind unter anderem folgende Luxusgüter: reinrassige Zuchttiere (denkbar Pferde), Kaviar, Trüffel, Bier, Champagner, Wein, Zigarren, Parfüms und weitere Kosmetikartikel, Lederwaren und hochwertige Kleidungsstücke, Teppiche, Perlen, Edelsteine, Schmuck, Münzen und Banknoten, Edelmetalle, Geschirr, Bleikristallgegenstände, sämtliche Fahrzeuge und Ersatzteile, Musikinstrumente, Kunstgegenstände, Freizeitsportartikel und Spielgegenstände. Sogar elektronische Artikel für den häuslichen Gebrauch sind erfasst, wenn sie einen Wert von mehr als 750 EUR haben. Auch wertvollere Waschmaschinen dürfen damit nicht nach Russland geliefert werden. Schließlich in Ziff. 18 des Anhangs werden dann sehr umfassend Uhren und Armbanduhren aufgeführt, wobei ausdrücklich keine Differenzierung nach Wert erfolgt. Die Sanktion erstreckt sich also auf alle genannten Uhren.
Neben der gesetzlichen Anordnung könnten Hersteller oder Inhaber eines Vertriebsrechts auch autonom eine Entscheidung zur Einstellung der Belieferung treffen. So hatten sich einige Unternehmen hier bereits festgelegt, dass sie keinen Handel mehr in ein Land betreiben wollten, das sein Nachbarland anlasslos überfällt. Aber auch aus anderen Gründen stellen Hersteller von Luxusuhren die Belieferung mit Uhren oder Ersatzteilen gelegentlich ein. Das begründen sie dann unter anderem mit anderen vertriebspolitischen Entscheidungen. Vor allem die Durchsetzung eines selektiven Vertriebssystems kann hier eine Bedeutung haben. Grundbedingung ist dabei jedoch, dass dieses Vertriebssystem als solches kartellrechtlich zulässig ist und zulässig praktiziert wird.
Wann müssen Unternehmen besonders aufpassen?
Lieferstopps sind nicht allgemein zulässig. Zwar gilt grundsätzlich die Privatautonomie und Unternehmen dürfen selbst bestimmen, wie und mit wem sie im Wettbewerb zusammen arbeiten. Dazu gehört grundsätzlich zunächst auch, dass sie frei darüber entscheiden können, welche Lieferbeziehungen sie zu welchen Bedingungen aufrecht erhalten. Auch ein vollständiger Lieferstopp ist von der allgemeinen Handlungsfreiheit erfasst.
Das Kartellrecht setzt jedoch auch der allgemeinen Handlungsfreiheit und weiteren wettbewerbsbezogenen Grundrechten eine Grenze. Das gilt dann, wenn die Freiheiten zulasten anderer ausgeübt werden und etwa andere Unternehmen nicht mehr am Wettbewerb teilnehmen können. Dann könnte etwa deren allgemeine Handlungsfreiheit beschränkt sein. Im Kartellrecht werden derartige Konfliksituationen unter anderem durch das allgemeine Marktmachtmissbrauchsverbot aufgefangen. Grundsätzlich gilt dieses, wenn ein Unternehmen auf einem relevanten Markt über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. Zusätzlich sieht die Spezialregelung in § 20 GWB einige Verschärfungen vor, bei denen es nicht auf eine solche marktbeherrschende Stellung ankommt.
Eine marktbeherrschende Stellung kann dann angenommen werden, wenn ein Unternehmen derartige wettbewerbliche Handlungsspielräume innehat, dass es sich unabhängig vom Wettbewerb verhalten kann. Wettbewerber oder andere Unternehmen könnten es also nicht mehr beeinflussen. Es könnte seine eigenen Preise ohne weiteres durchsetzen, ohne auf die jeweilige Marktgegenseite Rücksicht zu nehmen. Im deutschen Kartellrecht sieht § 18 Abs. 3 GWB einige allgemeine Kriterien zur Marktmachtbestimmung vor. Für die Digitalwirtschaft wurden zusätzlich einige weitere Kriterien in § 18 Abs. 3a und Abs. 3b GWB aufgenommen.
Für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung kommt es vorher auf die Abgrenzung des relevanten Marktes an. Ganz maßgeblich ist dabei der sogenannte sachlich relevante Markt. Ein sachlich relevanter Markt wird für alle Produkte und Leistungen angenommen, die eine austauschbare Nachfrage befriedigen können. Hierbei kann folgende Faustregel gelten: Je mehr Angebote standardisiert sind, desto breiter sind die Märkte, auf denen sie verfügbar sind. Denn Standardisierung ist häufig eine Antwort auf ein sehr breites und großes Interesse aller Konsumenten. Es ist dann für Unternehmen vertretbarer, über die Produktionsabläufe zu vereinfachen oder vergünstigen und in einen Preiswettbewerb untereinander zu gehen. Die abgrenzbaren sachlich relevanten Märkte sind dabei häufig sehr breit, wenig differenziert und umfassen funktional weitgehend gleichwertige Angebote. Umgekehrt können relevante Märkte sehr stark differenziert voneinander und wenig standardisiert sein. Unternehmen als Anbieter konkurrieren hier häufig über den Qualitätswettbewerb und richten sich an eine spezifische Nachfragergruppe. Deren Nachfrage kann so spezifisch sein, dass sich sehr trennscharf Märkte voneinander unterscheiden.
Letzteres kann so intensiv wirken, dass sich etwa markenspezifische Abgrenzungen ergeben. Bei den oben genannten Musikinstrumenten würden Nachfrager, die hochwertige Violinen eines bestimmten Herstellers spielen, etwa keine Ersatzteile eines Standardherstellers akzeptieren. Nachfrager einer Gibson-Gitarre würden etwa keine Ersatzteile eines anderes Herstellers akzeptieren. Deshalb ist es hier vertretbar, für Produkte oder Ersatzteile eines bestimmten Herstellers einen eigenen sachlich relevanten Markt anzunehmen. Können nachfragende Unternehmen im Fall eines Lieferstopps hierbei nicht auf andere Anbieter ausweichen, liegt regelmäßig auch ein Fall der sogenannten relativen Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB vor. Dasselbe gilt für zahlreiche andere Luxusgegenstände wie etwa hochwertige Uhren. Hier wird sich eine Nachfrage stets auf die spezifischen Uhrenmarken konzentrieren. Mit anderen Worten werden Ersatzteile anderer Uhrenmarken also von Verbrauchern nicht in einer Uhr der Marke Rolex, Breitling oder Omega akzeptiert. Entsprechend müssen sich Unternehmen etwa bei ihrem Angebot von Reparaturdienstleistungen gegenüber Verbrauchern auf diese Befindlichkeit einstellen und werden auf dem Vorleistungsmarkt für die Belieferung von Ersatzteilen nicht ausweichen können.
Werden sachlich relevante Märkte sehr eng abgegrenzt, so kann auf diesen in der Folge die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung näher liegen. Je enger, spezifischer und differenzierter also ein Markt, desto mehr Bedeutung kann die Stellung der auf ihm tätigen Unternehm haben. Gerade bei Luxusmärkten ist die scharfe Abgrenzung der Marken untereinander und der intensive Qualitätswettbewerb deshalb mit der Tendenz verbunden, dass die Unternehmen Inhaber einer marktbeherrschenden Stellung sind.
Welche sachlichen Gründe für einen Lieferstopp gibt es?
Die marktbeherrschende Stellung führt dazu, dass diese Unternehmen Adressaten des Marktmachtmissbrauchsverbots sind. Dazu gehören prominent das Verbot unbilliger Behinderungen und das Diskriminierungsverbot, die auch über § 20 Abs. 1 S. 1 GWB unmittelbar gelten. Diese Adressatenstellung als solche ist zunächst unkritisch. Denn es ist nicht verboten, Inhaber einer marktbeherrschenden Stellung oder relativer Marktmacht gegenüber anderen Unternehmen zu sein. Die Unternehmen sind jedoch zu einer besonderen zusätzlichen Rücksichtnahme auf den Restwettbewerb verpflichtet, der durch ihre Anwesenheit als marktbeherrschendes Unternehmen bereits geschwächt ist. Das verbietet ihnen etwa, ohne sachlichen Grund Unternehmen unterschiedlich zu behandeln oder diese unbillig zu behandeln. Die Geschäftsverweigerung stellt einen typischen Fall dar, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Marktmacht missbraucht. Dabei reicht es für die Annahme eines Marktmachtmissbrauchs schon aus, dass das marktbeherrschende Unternehmen seinen sachlichen Grund nicht darlegt und begründet.
Wichtig ist aber, dass auch für einen Lieferstopp sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen können. Diese lassen sich in subjektive und objektive Gründe unterscheiden. Subjektive Gründe liegen in der Person des Belieferten und in seinem Verhalten. Objektive Gründe sind solche, die außerhalb des Belieferten stehen.
Bei den subjektiven Gründen fallen als erstes etwaige Vorverhalten des Belieferten ins Auge, die eine Belieferung unzumutbar erscheinen lassen. So muss ein marktbeherrschendes Unternehmen etwa nicht mehr zwingend ein anderes Unternehmen beliefern, wenn dessen Mitarbeiter sich zuvor straffällig gegenüber ihm verhalten haben. Auch ein geschäftsschädigendes Verhaltens kann einen sachlichen Grund darstellen. Findet dieses zusätzlich bewusst statt, stellt dies einen besonders triftigen Grund dar. Dazu können etwa Sabotageakte gegen einen Selektivvertrieb sein oder besonders starkes Fehlverhalten, das sich mit einem Selektivvertrieb nicht vereinbaren lässt. Zum Beispiel wäre eine Darstellung hochwertiger Luxusuhren in einem Billigumfeld oder ein geschäftsschädigendes Verramschen ein Grund.
Voraussetzung ist dabei jedoch erneut, dass ein Selektivvertrieb objektiv gerechtfertigt ist. Und an dieser Stelle kommen die objektiven Gründe ins Spiel. Ein Selektivvertrieb ist nämlich nur zulässig, wenn und soweit die damit verbundenen Maßnahmen zur Wahrung der Qualität, der Sicherheit oder des Luxusimages erforderlich sind. Denn dann dienen die Maßnahmen allein dem Zweck, den Qualitätswettbewerb zu stärken. In der Wettbewerbstheorie ist dann die Rede vom sogenannten Immanenzgedanken: Wenn etwas Teil des wirksamen Wettbewerbs ist, dann ist es zulässig und kann nicht verboten werden. Die Sicherstellung des Qualitätswettbewerbs ist Teil des wirksamen Wettbewerbs. Sofern dies allein durch objektive Gründe gerechtfertigt wird und die Zulassungskriterien diskriminierungsfrei sind, ist dabei auch ein Ausschluss von einzelnen Unternehmen möglich. Das geht allerdings gerade nicht gegenüber denjenigen Unternehmen, die etwa die hohen Qualitätsanforderungen für eine Zulassung zum Selektivvertrieb erfüllen. Diese haben dann wiederum einen unmittelbaren Anspruch auf Aufnahme in den Selektivvertrieb und Belieferung. Denn eine Geschäftsverweigerung ihnen gegenüber wäre ansonsten missbräuchlich.
Ein weiterer objektiver Grund kann auch im Fall von begrenzten Kapazitäten oder Lieferengpässen bestehen. Dann trifft das marktbeherrschende Unternehmen jedoch die Pflicht zur Nichtdiskriminierung. Es muss dann innerhalb der Lieferkapazitäten eine objektive Auswahl vornehmen. Eine solche sogenannte Repartierung darf also nur innerhalb der kartellrechtlichen Grenzen erfolgen.
Wie können sich betroffene Unternehmen gegen einen Lieferstopp wehren?
Ist eine Geschäftsverweigerung missbräuchlich, dann muss das marktbeherrschende Unternehmen sie unterlassen. Das Unterlassen einer missbräuchlichen Geschäftsverweigerung wird umgesetzt, indem die Belieferung (wieder) aufgenommen wird. Beim Selektivvertrieb für Luxusuhren besteht dann ein Anspruch auf Aufnahme in die Belieferung. In der privaten Rechtsdurchsetzung ist dabei in Deutschland § 33 Abs. 1 GWB in Verbindung mit der jeweiligen materiellen Verbotsvorschrift die taugliche Anspruchsgrundlage. Das kann dann entweder direkt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB sein, wenn ein Unternehmen über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. Daneben ist § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB über § 20 Abs. 1 S. 1 GWB mittelbar anwendbar, wenn ein Verhältnis relativer Marktmacht besteht. In beiden Fällen kann ein betroffenes Unternehmen Unterlassungsansprüche geltend machen und in der Folge auch Schadensersatzansprüche, etwa wenn durch die Geschäftsverweigerung Gewinne entgehen. Ist eine Liefersperre sogar existenzgefährdend, kann das betroffene Unternehmen ausnahmsweise auch im Eilrechtsschutz gegen die Geschäftsverweigerung vorgehen. Und schließlich lohnt es sich häufig auch, eine Beschwerde an die zuständige Wettbewerbsbehörde zu formulieren.