Im verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren kann die Rücknahme eines Antrags eine strategische Bedeutung haben, die über die bloße Beendigung des Verfahrens hinausgeht. So kann sich etwa die Frage stellen, ob man durch die Rücknahme des Antrags einen bereits ergangenen Beschluss unwirksam machen kann.
Sofern bislang in dem Verfahren noch keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, ist die Antragsrücknahme gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 VwGO entsprechend ohne Einwilligung des Antragsgegners möglich.
Strategische Erwägungen zur Rücknahme nach Erlass einer Entscheidung
Durch die Rücknahme eines Antrags werden bereits ergangene Entscheidungen unwirksam, solange sie noch nicht rechtskräftig geworden sind. Bereits denklogisch bedeutet dies, dass damit auch Entscheidungen zu Fall gebracht werden können, die für einen Antragsteller nicht günstig ergangen sind. Das kann sich insbesondere dann anbieten, wenn ein Eilrechtsschutzantrag ergänzend zu einer Hauptsacheklage gestellt wurde. Zwar kann die Rechtswidrigkeit einer gerichtlichen Entscheidung durch die Beschwerde angegriffen werden. Während des Beschwerdeverfahrens wird das Ausgangsgericht aber regelmäßig die Hauptsache nicht vorantreiben. Es wird also noch mehr Zeit verloren gehen, bis ein Betroffener Hilfe erlangt.
Andererseits lassen sich die Argumente eines Gerichts aus dem Eilbeschluss dann auch wiederum in der Hauptsache verwerten und dort gegebenenfalls widerlegen. Es besteht dann keine vorangegangene rechtskräftige Entscheidung mehr, die etwa auch in der Hauptsache einer Klägerin entgegen gehalten werden könnte.
Das gilt insbesondere im Zusammenspiel zwischen Glaubhaftmachung im Eilrechtsschutz und gerichtlicher Amtsermittlung in der Hauptsache. Zieht sich das Gericht etwa auf die Begründung zurück, bestimmte Umstände für einen Eilrechtsschutz seien aus seiner Sicht nicht hinreichend glaubhaft gemacht, so könnte man es in der Hauptsache hierzu erst recht zu Ermittlungen veranlassen.
Ist eine Einwilligung erforderlich?
§ 92 Abs. 1 S. 2 VwGO sieht vor, dass nach einer mündlichen Verhandlung die Rücknahme nur noch mit der Einwilligung der Beklagten bzw. entsprechend der Antragsgegnerin erfolgen kann. Im Umkehrschluss ist keine Einwilligung erforderlich, wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
Das gilt also erst recht für sämtliche Antragsverfahren, die keinen endgültigen Zustand regeln sollen, sondern nur eine vorübergehende Regelung treffen. Hier hat der Antragsgegner kein schutzfähiges Interesse, das gegen die Rücknahme steht. Die Rechtsprechung ist mit ihren Aussagen zur Antragsrücknahme ohne Einwilligungserfordernus entsprechend deutlich.
Sehr deutlich äußert sich hierzu etwa vor fünf Jahren der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg für einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO:
“Soweit die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgenommen hat, ist das Verfahren insoweit einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog) und der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts insoweit mit Ausnahme der Kostenentscheidung und der Streitwertfestsetzung für unwirksam zu erklären (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Hierzu bedarf es angesichts der Vorläufigkeit von Entscheidungen über einstweiligen Rechtsschutz nicht der Einwilligung des Antragsgegners zu 3 nach § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.05.2012 — 9 S 1242/11 — und v. 01.03.1988 — NC 9 S 1022/87 — NVwZ 1989, 479; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., § 92 Rn. 2 m.w.N.).”
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. März 2020 – 1 S 424/20
Deutlich ist auch der Bayerische VGH hierzu:
“Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgericht hängt der Eintritt dieser Rechtsfolgen nicht von der Einwilligung des Antragsgegners in die Antragsrücknahme ab, denn § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO findet im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine analoge Anwendung […]”
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Januar 2015 – OVG 1 S 1.15, Rn. 5 f.
Ähnlich deutlich ist hierzu vor mehr als 40 Jahren bereits der Bayerische VGH gewesen, wie sich aus dem folgenden Leitsatz ergibt:
“Anträge nach VwGO § 80 Abs 5 und VwGO § 80 Abs 6 können in jedem Verfahrensstadium ohne Einwilligung des Gegners zurückgenommen werden.”
Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.06.1982 — 20 AS 81 D.110, Ls.
Für die Rücknahme des Antrags und die sich daraus ergebenden Wirkungen ist bereits die Erklärung konstitutiv. Ein etwaiger Widerspruch der Antragsgegnerin ist allein schon deshalb unbeachtlich.
Was wird das Gericht entscheiden?
Gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluss ein. Außerdem spricht es die gesetzlichen Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Für die Zurücknahme eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz oder Eilrechtsschutz gilt entsprechendes. Gesetzliche Folgen sind erstens die automatische Unwirksamkeit einer bereits ergangenen Entscheidung. Der Einstellungsbeschluss stellt diese Unwirksamkeit deklaratorisch fest. Zweitens erfolgt eine Kostenentscheidung nebst Streitwert.
Kostenrechtliche Auswirkungen der Rücknahme eines Antrags
Zu bedenken sind aber die kostenrechtlichen Folgen. Wer einen Antrag zurücknimmt, muss regelmäßig die Kosten tragen. Denn durch die Rücknahme begibt es sich freiwillig in die Rolle des Unterlegenen, selbst wenn er sein Ziel der Aufhebung der Entscheidung vor Rechtskraft erreicht.
Weiterhin kann er nach Erlass einer Entscheidung nicht mehr damit rechnen, dass sich die Gerichtsgebühren reduzieren. Während die Rücknahme eines Antrags vor einer gerichtlichen Entscheidung zu einer Reduzierung der Gerichtskosten führen kann, ist eine Kostenminderung nach dem Erlass einer Entscheidung ausgeschlossen. Die bereits entstandenen Kosten, die durch die Entscheidung des Gerichts verursacht wurden, müssen in vollem Umfang vom Antragsteller getragen werden. Dies ergibt sich aus Ziffer 5211 VV GKG.
Für die strategischen Erwägungen zu einer Rücknahme kann dies ebenso eine Bedeutung haben. Die damit verlorenen Kosten sollten gegen die Vorteile einer damit nicht bestandskräftigen Entscheidung abgewogen werden.