Drosselung bei großen Streaming-Portalen – freiwillig proaktiv oder rechtlich verpflichtend?

Hält in der Coro­na-Kri­se das Inter­net? Die­se Sor­ge wächst schein­bar zuneh­mend in Euro­pa. Mitt­ler­wei­le immer mehr Men­schen hal­ten sich daheim auf und ver­su­chen, phy­si­sche Sozi­al­kon­tak­te zu ver­mei­den. Ent­spre­chend gestie­gen sind die Daten­ra­ten an Inter­net­ver­kehr, sei es durch Video­kon­fe­ren­zen im Home Office oder Frei­zeit­nut­zun­gen. Wäh­rend in der Schweiz bereits über Ein­schrän­kun­gen des Inter­net­ver­kehrs nach­ge­dacht wird, sehen sich deut­sche Betrei­ber von Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zen und Inter­net-Kno­ten auch deut­lich höhe­ren Aus­las­tun­gen gegen­über gewapp­net. Wie tages​schau​.de heu­te berich­tet, haben die bei­den gro­ßen Strea­ming-Anbie­ter Net­flix und You­Tube aber mit­ge­teilt, dass sie vor­erst die Über­tra­gungs­qua­li­tät ihrer Ange­bo­te auf Stan­dard zu dros­seln. Dies basie­re dem­nach auf einer frei­wil­li­gen Beschrän­kung in Abstim­mung mit EU-Indus­trie­kom­mis­sar Thier­ry Bre­ton. Die­ser hat­te eine Dros­se­lung pro­ak­tiv vor­ge­schla­gen, gera­de um es nicht zu einer Über­las­tung der Inter­net­in­fra­struk­tu­ren kom­men zu las­sen. Der Spie­gel weist hier­zu dar­auf hin, dass eine Dros­se­lung eben­so auf der Grund­la­ge der Ver­ord­nung 2015/2120 ange­ord­net wer­den könn­te. Dies ist aller­dings frag­lich. Im Ver­lauf des Tages hat auch Ama­zon ange­kün­digt, bei sei­ner Video-Strea­ming-Platt­form Prime die Über­tra­gungs­ra­te zu redu­zie­ren.

Wor­um geht es in der benann­ten Ver­ord­nung, auf­grund derer die Qua­li­tät ein­ge­schränkt wer­den kön­nen soll­te? Ganz stark ver­kürzt beinhal­tet sie drei wesent­li­che Regelungsbereiche:

  1. Zugang zum offe­nen Internet,
  2. Roa­ming in öffent­li­chen Mobil­funk­net­zen in der Union,
  3. Uni­ver­sal­dienst und Nut­zer­rech­te bei elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zen und ‑diens­ten.

Bei der ange­spro­che­nen Fra­ge nach mög­li­chen „staat­li­chen Dros­se­lungs­an­ord­nun­gen“ geht es um soge­nann­te Ver­kehrs­ma­nage­ment­maß­nah­men nach die­ser Ver­ord­nung. Die­se kön­nen gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO 2015/2120 durch die jeweils zustän­di­ge natio­na­le Regu­lie­rungs­be­hör­de gegen­über Anbie­tern öffent­li­cher elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on, ein­schließ­lich Anbie­tern von Inter­net­zu­gangs­diens­ten, erlas­sen wer­den. Vor­aus­set­zung dafür ist zunächst, dass die Vor­schrif­ten der Art. 3 und 4 der VO 2015/2120 nicht ein­ge­hal­ten wer­den. Bei­de rich­ten sich jedoch aus­schließ­lich an die Anbie­ter von Inter­net­zu­gangs­diens­ten. Art. 4 rich­tet sich unmit­tel­bar an Anbie­ter von Inter­net­zu­gangs­diens­ten, zu denen die Strea­ming-Por­ta­le nicht zäh­len, da sie nicht selbst den Zugang zum Inter­net ver­mit­teln, son­dern die­sen bei ihren Kun­den tech­nisch erfor­dern. Eben­so ist dies bei Art. 3. Die inhalt­li­chen Unter­schie­de bestehen hier­bei vor allem dar­in, dass die Pflich­ten des Art. 3 sich auf das tech­ni­sche Ver­kehrs­ma­nage­ment durch die Pro­vi­der bezie­hen, wäh­rend es in Art. 4 um Nut­zer­rech­te geht.

Zur Ein­hal­tung bei­der Vor­schrif­ten ver­pflich­tet sind also nur die Anbie­ter der Inter­net­zu­gangs­diens­te. Das bedeu­tet, dass auch nur die­sen gegen­über eine ent­spre­chen­de Stö­rer­ver­fü­gung auf­grund die­ser Ver­ord­nung erge­hen könn­te. Art. 5 Abs. 1 S. 2 ermög­licht hier außer­dem Ver­fü­gun­gen gegen­über Anbie­tern öffent­li­cher elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on. Die­se wer­den in Art. 2 UAbs. 2 Nr. 2 legal­de­fi­niert als Unter­neh­men, die öffent­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­ze oder öffent­lich zugäng­li­che elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te berei­ten. Bei­des knüpft wie­der­um an den Begriff der „elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te“ gemäß Art. 2 lit c der Richt­li­nie 2002/21/EG (Rah­men­richt­li­nie) an. Hier die Vor­schrift aus der Rah­men­richt­li­nie mit der Defi­ni­ti­on im Wort­laut mit eige­nen Hervorhebungen:

c) „elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te“: gewöhn­lich gegen Ent­gelt erbrach­te Diens­te, die ganz oder über­wie­gend in der Über­tra­gung von Signa­len über elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­ze bestehen, ein­schließ­lich Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Über­tra­gungs­diens­te in Rund­funk­net­zen, jedoch aus­ge­nom­men Diens­te, die Inhal­te über elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­ze und ‑diens­te anbie­ten oder eine redak­tio­nel­le Kon­trol­le über sie aus­üben; nicht dazu gehö­ren die Diens­te der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft im Sin­ne von Arti­kel 1 der Richt­li­nie 98/34/EG, die nicht ganz oder über­wie­gend in der Über­tra­gung von Signa­len über elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­ze bestehen

Was dar­un­ter fällt, ist regel­mä­ßig eine Kern­fra­ge der Bera­tung im Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­recht. Hier lässt sich das jedoch damit abkür­zen, dass die Strea­ming-Anbie­ter weit über­wie­gend aus­schließ­lich Inhal­te anbie­ten, regel­mä­ßig auch unter redak­tio­nel­ler Kon­trol­le. Ent­spre­chend wäre eine Ver­fü­gung auf die­ser Rechts­grund­la­ge bereits inhalt­lich nicht recht­lich zulässig.

Auch wäre die EU-Kom­mis­si­on nicht zustän­dig für die Durch­set­zung, son­dern hier­zu­lan­de die Bun­des­netz­agen­tur als natio­na­le Regu­lie­rungs­be­hör­de müss­te inner­halb ihres Zustän­dig­keits­be­reichs aktiv wer­den. Dafür müss­ten wei­te­re tat­säch­li­che Fra­gen geklärt wer­den, inwie­fern eine Ver­schlech­te­rung der Ver­sor­gung zu befürch­ten wäre. Auf der Rechts­fol­gen­sei­te wäre dabei noch offen, ob Dros­se­lungs­ver­fü­gun­gen allein zuläs­sig wären, die ledig­lich eine spe­zi­fi­sche Ver­kehrs­klas­se benach­tei­li­gen. Ent­spre­chend ist auch das Vor­ge­hen der Platt­for­men zu ver­ste­hen, also nicht als frei­wil­li­ges Ein­kni­cken vor der ansons­ten dro­hen­den Ver­fü­gung, son­dern als eine der die­se Tage so typi­schen frei­wil­li­gen Selbst­be­schrän­kun­gen. Auch die Strea­ming-Anbie­ter kön­nen kein Inter­es­se dar­an haben, dass die Nut­zung ihrer Platt­for­men die Inter­net-Infra­struk­tu­ren überlastet.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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