Die 10. GWB-Novel­le nimmt immer mehr For­men an. Bereits letz­tes Jahr konn­ten wir über ers­te Ent­wür­fe dis­ku­tie­ren und lan­ge war es still. Jetzt wur­de bekannt, dass man die koali­ti­ons­in­ter­nen Wider­stän­de wohl über­wun­den hat und es mit dem Regie­rungs­ent­wurf wei­ter geht, also man in das Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren ein­tritt. Damit wer­den auch die ein­zel­nen Vor­schlä­ge immer rele­van­ter für die Pra­xis – so auch der geplan­te § 19a GWB, den ich vor eini­ger Zeit hier schon ein­mal kurz vor­ge­stellt habe. Es gibt eini­ge Kri­tik an die­ser Vor­schrift, die ich weit­ge­hend tei­le. Es hilft alles aber nichts; wenn die Vor­schrift Rea­li­tät wird, müs­sen wir mit ihr arbei­ten. Hier ein paar ers­te Gedan­ken, wer erfasst wird.

Tatbestandsvoraussetzungen

Der Refe­ren­ten­ent­wurf sprach noch von einer sehr gerin­gen Anwen­dungs­zahl, näm­lich drei in fünf Jah­ren. Ein nam­haf­ter Kol­le­ge aus Düs­sel­dorf stell­te dar­an anknüp­fend die Fra­ge, wel­ches der vier land­läu­fig soge­nann­ten GAFA-Unter­neh­men wohl ver­schont blei­ben sol­le. Wie wir sehen wer­den, ist der Wort­laut der Vor­schrift nicht allein auf digi­ta­le Platt­for­men beschränkt. Den­noch sol­len die­se aber mit der Vor­schrift erfasst wer­den. So steht es jeden­falls noch im Referentenentwurf.

Las­sen Sie uns das aber ein­mal vom Wort­laut der Norm her anschau­en: Gemäß § 19a Abs. 1 S. 1 GWB soll das Bun­des­kar­tell­amt in einem ers­ten Schritt die Regu­lie­rungs­be­dürf­tig­keit eines Unter­neh­mens und damit sei­ne Stel­lung als Adres­sat wei­te­rer Ver­pflich­tun­gen nach Abs. 2 fest­stel­len kön­nen. Die mate­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen dafür sind,

  1. Das Unter­neh­men ist in erheb­li­chem Umfang auf Märk­ten im Sin­ne des § 18 Abs. 3a GWB tätig;
  2. Dem Unter­neh­men muss eine über­ra­gen­de markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb zukommen.

Tätigkeit auf Plattform-Märkten

Dass der Ver­weis auf § 18 Abs. 3a GWB dog­ma­tisch etwas holp­rig und hand­werk­lich miss­lun­gen ist, las­sen wir mal außen vor. Denn es sol­len wohl die dort genann­ten „Netz­wer­ke und mehr­sei­ti­gen Märk­te“ erfasst wer­den. Ob das als sol­che bereits Märk­te sind, muss jedoch über­haupt erst fest­ge­stellt werden.

Wor­um han­delt es sich bei Netz­wer­ken und mehr­sei­ti­gen Märk­ten? Ers­te­re sind Ange­bo­te, bei denen sich Nut­zer mit ande­ren Nut­zern ver­bin­den („ver­net­zen“) kön­nen. Das Zwei­te sind streng genom­men Geschäfts­mo­del­le mit Ange­bo­ten gegen­über ver­schie­de­nen Nut­zer­grup­pen. Eine abschlie­ßen­de Defi­ni­ti­on gibt es noch nicht und bei­de Begrif­fe sind momen­tan noch stark in der Debat­te und müs­sen wis­sen­schaft­lich erör­tert wer­den. Nach mei­ner Ansicht dazu hät­te man wohl bes­ser den Wort­laut „Märk­te“ hier weg­ge­las­sen. Denn es han­delt sich bei den Rege­lun­gen des § 18 Abs. 3a GWB um Hilfs­kri­te­ri­en, mit denen die Markt­macht bei der­ar­ti­gen Geschäfts­mo­del­len unter­sucht wer­den kann. Die Defi­ni­ti­on und Abgren­zung des oder der unter­such­ten Märk­te ist die­sem vorgelagert.

Jeden­falls aber wird der gesetz­ge­be­risch ver­folg­te Zweck deut­lich, dass es sich hier um struk­tu­rel­les Kri­te­ri­um han­delt: es soll zunächst allein auf die Tätig­keit des Unter­neh­mens auf Platt­form-Märk­ten ankom­men. Ob die­se digi­tal sind, wird nicht erwähnt, eben­so wenig die Bran­che. Die wett­be­werb­li­che Betrach­tung soll nicht mehr allein über das Kon­zept der Markt­be­herr­schung erfol­gen; es soll dann auf die „über­ra­gen­de markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb“ ankommen.

Die­se Tätig­keit muss einen erheb­li­chen Umfang haben. Das Kri­te­ri­um der Erheb­lich­keit scheint nun zunächst nicht viel mit Markt­macht zu tun zu haben. Es wird auf die Bedeu­tung ankom­men, die das unter­such­te Unter­neh­men für ande­re Unter­neh­men als Platt­form hat. „Umfang“ deu­tet auf ein rein quan­ti­ta­ti­ves Kri­te­ri­um hin, also los­ge­löst von Markt­macht. Das wür­de zu dem struk­tu­rel­len Auf­greif­merk­mal pas­sen, das die­ses Kri­te­ri­um dar­stellt. Denk­bar wäre es sogar, wenn hier im wei­te­ren Ver­lauf Auf­greif­schwel­len dis­ku­tiert werden.

Könn­te die­se Fest­stel­lung durch die Unter­su­chung einer markt­be­herr­schen­den Stel­lung ersetzt wer­den? Grund­sätz­lich ja, sofern die­se Markt­stel­lung mit der Tätig­keit in erheb­li­chem Umfang kon­gru­ent ist. Dazu wird aber nicht allein die Markt­stel­lung auf irgend­ei­nem unter­such­ten Markt aus­rei­chen, wenn dies nicht gleich­zei­tig der­sel­be Markt nach § 18 Abs. 3a GWB ist. Außer­dem ist „Tätig­keit“ nicht gleich „Stel­lung“. Das Ers­te knüpft an ein Wett­be­werbs­ver­hal­ten an, das Zwei­te an die Markt­struk­tur. Zudem liegt es nahe, dass mit­tels die­ser Vor­schrift die als kom­pli­ziert emp­fun­de­ne Markt­un­ter­su­chung gera­de über­gan­gen wer­den soll.

Überragende marktübergreifende Bedeutung

Das zwei­te Kri­te­ri­um die­ser Vor­schrift ermög­licht die wett­be­werb­li­che Betrach­tung. Dem Unter­neh­men muss eine über­ra­gen­de markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb zukommen.

Fan­gen wir damit an, was aus­drück­lich nicht fest­ge­stellt wer­den muss (aber kann, wie wir gleich bei § 19a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GWB sehen wer­den), näm­lich eine markt­be­herr­schen­de Stel­lung des unter­such­ten Unter­neh­mens. Statt­des­sen muss sei­ne Bedeu­tung markt­über­grei­fend sein. Das lehnt sich an die mit § 18 Abs. 3a GWB in Bezug genom­me­nen Platt­for­men an, die ver­schie­de­ne Nut­zer­grup­pen mit damit ver­bun­de­nen Märk­ten mit­ein­an­der ver­knüp­fen. Für die Teil­neh­mer auf die­sen Märk­ten kann es eine erheb­li­che Bedeu­tung haben, dass eine Platt­form ihnen den Zugriff zu dem ande­ren Markt ver­mit­telt. Das wäre jeden­falls eine markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung, die sich unmit­tel­bar zeigt. Jedoch könn­te der Wort­laut auch wei­te­re markt­über­grei­fen­de Bedeu­tun­gen erfas­sen, etwa für wei­te­re von der Platt­form abhän­gi­ge Märk­te, auch wenn sie nicht unmit­tel­bar vom Geschäfts­mo­dell erfasst sind.

Die­se markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb muss „über­ra­gend“ sein. Das ist noch so ein schwie­ri­ges Wort, das sich nur schwer anwen­den lässt. Man könn­te hier auch mit Schwell­wer­ten arbei­ten. Wahr­schein­li­cher ist aber, dass die über­ra­gen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb im Vor­der­grund steht, die­ser also von dem Unter­neh­men abhängt. Damit ent­steht mehr und mehr ein ver­ständ­li­ches Bild aus die­ser kom­pli­zier­ten Vor­schrift. Es sol­len die­je­ni­gen Platt­for­men erfasst wer­den, die mit ihrer erheb­li­chen Tätig­keit eine unver­zicht­ba­re Bedeu­tung für den Wett­be­werb erlangt haben. Ohne sie geht es also nicht mehr, wür­de also in einem über­schau­ba­ren und unter­such­ten Bereich kein wesent­li­cher Wett­be­werb mehr statt­fin­den. Das wür­de auch sys­te­ma­tisch Sinn machen, wenn man den § 19a GWB als Regu­lie­rungs­in­stru­ment begreift, das wie­der­um nur bei Ver­sa­gen der all­ge­mei­nen kar­tell­recht­li­chen Instru­men­te greift. Dazu müss­te man aber doch irgend­wie auch wie­der den Bereich abgren­zen, auf dem man die vor­han­de­nen oder nicht vor­han­de­nen Wett­be­werbs­kräf­te untersucht.

Feststellung durch die Behörde

Die­se über­ra­gen­de markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb muss vom Bun­des­kar­tell­amt fest­ge­stellt wer­den. Die Behör­de ist dabei aller­dings nicht auf die­sen kom­pli­zier­ten Tat­be­stand beschränkt, son­dern bekommt Hilfs­in­stru­men­te, die sich in § 19a Abs. 1 S. 2 GWB fin­den. Wich­tig ist dabei, dass es sich nicht um Fik­tio­nen oder gesetz­li­che Ver­mu­tun­gen han­delt, son­dern es „sind ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen“ die dort auf­ge­lis­te­ten Kri­te­ri­en. Ansons­ten wäre gleich das Ers­te sehr ver­wir­rend, denn es soll auch auf die markt­be­herr­schen­de Stel­lung auf einem oder meh­re­ren Märk­ten berück­sich­tigt wer­den. Ist die­se aber nur zu berück­sich­ti­gen, wenn sie vor­lie­gen, begrün­det sie nicht selbst die über­ra­gen­de markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung. Die Vor­schrift stellt also einen zusätz­li­chen for­mel­len Begrün­dungs­maß­stab für die Behör­de dar.

Wei­te­re zu beach­ten­de Kri­te­ri­en sind die Finanz­kraft oder der Zugang des unter­such­ten Unter­neh­mens zu sons­ti­gen Res­sour­cen, sei­ne ver­ti­ka­le Inte­gra­ti­on und sei­ne Tätig­keit auf in sons­ti­ger Wei­se mit­ein­an­der ver­bun­de­nen Märk­ten, sein Zugang zu wett­be­werbs­re­le­van­ten Daten und die Bedeu­tung sei­ner Tätig­keit für den Zugang Drit­ter zu Beschaf­fungs- und Absatz­märk­ten sowie sein damit ver­bun­de­ner Ein­fluss auf die Geschäfts­tä­tig­keit Drit­ter. Die Behör­de muss also bei die­ser Fest­stel­lung einen sehr aus­führ­li­chen Kata­log abar­bei­ten und jeweils Fest­stel­lun­gen und Bewer­tun­gen zur erheb­li­chen markt­über­grei­fen­den Bedeu­tung für den Wett­be­werb tref­fen. Das geht schon teil­wei­se in eine ähn­li­che Rich­tung, wie sie aus dem Ver­fah­ren zur Regu­lie­rungs­ver­fü­gung nach dem TKG bekannt ist.

Bei die­sen Kri­te­ri­en wird wie­der­um deut­lich, dass der Anspruch an eine der­ar­ti­ge Fest­stel­lung doch recht hoch ist. Es wer­den also nicht reflex­haft die „gro­ßen Platt­for­men“ erfasst sein, allein weil sie der­zeit eini­gen ein Dorn im Auge sind. Auch ande­re Platt­for­men könn­ten erfasst wer­den, ins­be­son­de­re die in zuneh­mend mehr ver­netz­ten Fahr­zeu­gen. Die Behör­de muss dabei eine sehr genaue und umfas­sen­de Betrach­tung durch­füh­ren. Die auf­ge­lis­te­ten Kri­te­ri­en wer­den ihr dabei einer­seits hel­fen; sie stel­len aber auch einen hohen Anspruch dar und schüt­zen das betrof­fe­ne Unter­neh­men vor einer will­kür­li­chen Behör­den­ent­schei­dung. Denn erst wenn und soweit sie die­se Fest­stel­lung nach § 19a Abs. 1 GWB getrof­fen hat, kann sie über­haupt kon­kre­te Maß­nah­men nach § 19a Abs. 2 GWB erlassen.

Wie geht es dann weiter?

Das betrof­fe­ne Unter­neh­men kann sich dabei durch Ein­wän­de weh­ren oder durch Stel­lung­nah­men Ein­fluss auf die Behör­de neh­men. Im Anschluss an eine Fest­stel­lung nach § 19a GWB stellt sich dann die Fra­ge nach dem Rechts­schutz, die ich in einem sepa­ra­ten Bei­trag bespre­chen wer­de. Und erst wenn über­haupt eine wirk­sa­me Fest­stel­lung gemäß § 19a Abs. 1 S. 1 GWB ergeht, kann die Behör­de den Befug­nis­rah­men des § 19a Abs. 2 S. 1 GWB in Anspruch neh­men. Das schließt jedoch nicht aus, dass sie auch nach den all­ge­mei­nen kar­tell­recht­li­chen Vor­schrif­ten und Befug­nis­sen ähn­li­che Maß­nah­men erlas­sen könnte.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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