In der aktu­el­len Aus­ga­be der Zeit­schrift Com­pu­ter & Recht (CR) ist ein Auf­satz von mir erschie­nen, der sich mit dem ers­ten Face­book-Beschluss des BGH vom 23.6.2020 (KVR 69/19) befasst. Mitt­ler­wei­le gibt es einen zwei­ten Beschluss vom 15.12.2020, mit dem der BGH die Rechts­be­schwer­de gegen einen zwi­schen­zeit­lich erlas­se­nen Hän­ge­be­schluss des OLG Düs­sel­dorf zuge­las­sen hat (KVZ 90/20).

In Kürze: worum geht es in dem Aufsatz?

In sei­nem Beschluss vom 23.6.2020 beschäf­tigt sich der BGH mit der Fra­ge, ob das Bun­des­kar­tell­amt sei­ne Ver­fü­gung gegen­über Face­book vom 6.2.2019 grund­sätz­lich schon voll­zie­hen kann, auch wenn das Beschwer­de­ver­fah­ren noch nicht abge­schlos­sen ist. Das OLG Düs­sel­dorf hat­te auf den Antrag Face­books hin die auf­schie­ben­de Wir­kung der ein­ge­leg­ten Beschwer­de ange­ord­net. Gegen die­sen Anord­nungs­be­schluss hat­te das Bun­des­kar­tell­amt Rechts­be­schwer­de ein­ge­legt, wor­über der BGH nun zu ent­schei­den hatte.

Die­se Ent­schei­dung des BGH ent­hält zahl­rei­che inter­es­san­te Aus­sa­gen für das wei­te­re Ver­fah­ren, die Wis­sen­schaft, aber auch zur all­ge­mei­nen Kar­tell­rechts­pra­xis; hier stark komprimiert:

  • Ver­hält­nis zwi­schen Kar­tell­recht und Datenschutzrecht
  • Zustän­dig­keit und Durch­set­zungs­be­fug­nis­se des Bun­des­kar­tell­amts in „Daten­fäl­len“
  • Markt­ab­gren­zung und sozia­le Netzwerke
  • Markt­macht­ana­ly­se bei mehr­sei­ti­gen Geschäftsmodellen
  • Mit­tel­ba­re Dritt­wir­kung von Grund­rech­ten bei der Aus­le­gung des Marktmachtmissbrauchsverbots
  • Grund­rechts­bin­dung Face­books wegen der beson­de­ren Rele­vanz für die sozia­le Kommunikation
  • Kau­sa­li­tät

Im Ergeb­nis hält der BGH die Ent­schei­dung des BKar­tA jeden­falls inso­fern für recht­mä­ßig, als dass sie voll­zieh­bar ist. Deut­lich unter­schied­lich ist jedoch die rechts­dog­ma­ti­sche Begrün­dung: Es kommt nicht auf Ver­stö­ße gegen das posi­ti­ve Daten­schutz­recht an, son­dern allein auf eine kar­tell­recht­li­che Abwä­gung. Wo liegt der Unter­schied? In den Schutz­be­rei­chen und den ein­be­zieh­ba­ren Interessen.

Interessenabwägung und Abwägung von Grundrechten

In dem Auf­satz stel­le ich die­se Unter­schie­de und die Fol­gen für die Pra­xis dar und war­um die Ent­schei­dung sehr gut nach­voll­zieh­bar ist. Dar­aus soll­ten Sie zwei Grund­aus­sa­gen ent­neh­men: Ers­tens, die jewei­li­gen Zustän­dig­kei­ten und Befug­nis­se der Daten­schutz­be­hör­den einer­seits und der Kar­tell­be­hör­den ande­rer­seits sind unab­hän­gig von­ein­an­der. Zwei­tens, bei der Durch­set­zung des jewei­li­gen Fach­rechts kann es zu Aus­strah­lungs­wir­kun­gen oder Über­schnei­dun­gen kommen.

An die­ser zwei­ten Aus­sa­ge möch­te ich zuerst anset­zen. Denn wie geht man mit Über­schnei­dun­gen um? Bereits aus einer vor­ge­stell­ten Gra­fik wird deut­lich, dass zwi­schen den bei­den Krei­sen, die hier den jewei­li­gen Schutz­be­reich dar­stel­len, nur klei­ne Schnitt­men­gen bestehen. Das liegt unter ande­rem dar­an, dass das Kar­tell­recht die Wett­be­werbs­frei­hei­ten schützt und damit einen wesent­lich wei­te­ren und vor allem weni­ger defi­nier­ten Schutz­be­reich als das Daten­schutz­recht hat. Zu den Wett­be­werbs­frei­hei­ten gehö­ren auch Inter­es­sen wie die Wahl­frei­heit oder nega­ti­ve Ver­trags­frei­heit. Die­se sieht der BGH auch im Daten­schutz­recht erfasst. Den­noch muss eine Anwen­dung kar­tell­recht­li­cher Vor­schrif­ten umfas­send sein und ande­re betrof­fe­ne Inter­es­sen in die Abwä­gung mit ein­be­zie­hen. Die Abwä­gung allein auf der Grund­la­ge eines Ver­sto­ßes gegen das Daten­schutz­recht birgt also das Risi­ko, das geschütz­te Inter­es­sen nicht hin­rei­chend berück­sich­tigt werden.

Die ers­te Aus­sa­ge war zu erwar­ten. Es gab ver­ein­zel­te Mei­nun­gen, das Bun­des­kar­tell­amt kön­ne doch nicht zum einen daten­schutz­recht­li­che Bewer­tun­gen anstel­len und zum ande­ren hier ver­su­chen Daten­schutz durch­zu­set­zen. Bei­de Ein­wän­de hat der BGH mit guten Argu­men­ten wider­legt. Zum ers­ten kommt es auf die daten­schutz­recht­li­chen Bewer­tun­gen gera­de wegen der ori­gi­nä­re kar­tell­recht­li­chen Inter­es­sen­ab­wä­gung nicht mehr an. Zum zwei­ten kön­nen auch Inter­es­sen vom Kar­tell­recht erfasst und damit vom Bun­des­kar­tell­amt durch­setz­bar sein, die dar­über hin­aus eben­so von einer ande­ren Schutz­ma­te­rie erfasst sind. Es ist also für die Durch­set­zung des Kar­tell­rechts uner­heb­lich, was in der DSGVO zur Kohä­renz daten­schutz­be­hörd­li­cher Ent­schei­dun­gen steht.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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