Im Früh­jahr hat­te der BGH zu einer Beschwer­de des Platt­form­be­trei­bers Ama­zon ent­schie­den. Die­ser wehr­te sich gegen die Ein­ord­nung gemäß § 19a Abs. 1 GWB als Unter­neh­men mit markt­über­grei­fe­ner Stel­lung für den Wett­be­werb durch das Bun­des­kar­tell­amt. Es han­delt sich um die ers­te Ent­schei­dung soweit zu die­ser sehr spe­zi­el­len Vor­schrift. Des­halb waren vie­le inter­es­san­te Aus­sa­gen des Gerichts zu die­ser Vor­schrift zu erwar­ten. Mitt­ler­wei­le ist die Ent­schei­dung im Voll­text öffent­lich ver­füg­bar.

Was ist das Relevanteste?

Die Ent­schei­dung ergeht über eine Ent­schei­dung nach § 19a Abs. 1 S. 1 GWB. Über den Unter­schied zwi­schen Ent­schei­dun­gen nach Abs. 1 und Abs. 2 hat­te ich an einem ande­ren Ort geschrei­ben. Hier­bei han­delt es sich um eine Ver­fü­gung, mit der das Bun­des­kar­tell­amt die beson­de­re Stel­lung eines Unter­neh­mens im Wett­be­werb fest­stel­len kann. Erst wenn eine sol­che ergeht, kön­nen dem Unter­neh­men wei­te­re behörd­li­che Rege­lun­gen auf­er­legt wer­den. Die­se gel­ten aber nicht also solche.

Was ist eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb?

Gleich im ers­ten amt­li­chen Leit­satz schon äußert sich das Gericht zu die­ser zen­tra­len Fra­ge. Der Geset­zes­text ist da nicht beson­ders kon­kret und auch die Begrün­dung des Gesetz­ge­bers hilft eher weni­ger wei­ter. Ers­tens kommt es dar­auf an, dass das Unter­neh­men in erheb­li­chem Umfang auf Märk­ten gemäß § 18 Abs. 3a GWB tätig ist. Zwei­tens muss dem Unter­neh­men die über­ra­gen­de markt­über­grei­fen­de Bedeu­tung für den Wett­be­werb zukom­men. § 19a Abs. 1 S. 2 GWB ent­hält eine Lis­te an tat­säch­li­chen Umstän­den, die bei der Fest­stel­lung zu berück­sich­ti­gen sind. Aus ihnen ergibt sich aller­dings noch nicht selbst die fest­zu­stel­len­de Bedeu­tung für den Wettbewerb.

Auf mehrseitigen Märkten tätig

§ 19a Abs. 1 GWB ver­weist auf den § 18 Abs. 3a GWB. Dort fin­den sich zwei Begrif­fe, über die Platt­form­ge­schäfts­mo­del­le umschrie­ben wer­den: Ers­tens der soge­nann­te mehr­sei­ti­ge Markt und zwei­tens das Netz­werk. Das Bun­des­kar­tell­amt hat­te hier eine Tätig­keit auf mehr­sei­ti­gen Märk­ten fest­ge­stellt. Bei die­sen wird ein Unter­neh­men gegen­über unter­schied­li­chen Nut­zer­grup­pen tätig, zwi­schen denen indi­rek­te Netz­werk­ef­fek­te bestehen.

Der BGH stellt hier­zu klar, dass der Betrieb einer Ver­mitt­lungs­platt­form gemäß § 18 Abs. 3b GWB gleich­zei­tig eine Tätig­keit auf mehr­sei­ti­gen Märk­ten im Sin­ne des § 18 Abs. 3a GWB ist. Die­se Aus­sa­ge ist nach­voll­zieh­bar. Denn gera­de die Ver­mitt­lungs­tä­tig­keit wird von den unter­schied­li­chen Nut­zer­grup­pen auf den unter­schied­li­chen Märk­ten nach­ge­fragt. Die Ver­bin­dung der unter­schied­li­chen Märk­te über das Aus­nut­zen indi­rek­ter Netz­werk­ef­fek­te ist eine ganz typi­sche Tätig­keit. Inso­fern sind auch die Fest­stel­lun­gen des Bun­des­kar­tell­amts hier­zu nachvollziehbar.

Tätigkeit des Unternehmens auf mehrseitigen Märkten im erheblichen Umfang

Die blo­ße Tätig­keit auf einem Markt nach § 18 Abs. 3a GWB reicht jedoch nicht aus. Sie muss auch einen erheb­li­chen Umfang haben. Die Tätig­keit des Unter­neh­mens soll also im Ver­gleich zu sei­nen sons­ti­gen Tätig­kei­ten kei­ne voll­kom­men unter­ge­ord­ne­te Rol­le spie­len. Es gibt also eine gewis­se Nähe zu “nicht völ­lig uner­heb­lich”. Die­sen sieht das Gericht auch nicht unter Hin­weis auf pro­zen­tua­le Schwell­wer­te unter­schrit­ten. Für Deutsch­land ins­be­son­de­re waren die Umsatz­an­tei­le in den letz­ten Jah­ren aller­dings sehr erheb­lich angestiegen.

Das Bun­des­kar­tell­amt hat­te hier­zu vom BGH nicht bean­stan­det die für die Tätig­keit auf mehr­sei­ti­gen Märk­ten anfal­len­den Umsät­ze ermit­telt sowie jeweils die akti­ven End­nut­zer und akti­ven gewerb­li­chen Nut­zer. Hin­sicht­lich der akti­ven Nut­zer­zah­len wie­der­um zieht das Gericht die eige­ne Mel­dung Ama­zons an die Kom­mis­si­on über sei­ne Gate­kee­per-Stel­lung nach dem DMA heran.

Zukommen einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb

Auch die Fest­stel­lun­gen des Bun­des­kar­tell­amts zur über­ra­gen­den markt­über­grei­fen­den Bedeu­tung für den Wett­be­werb bean­stan­det der BGH nicht. Der BGH nimmt für die Fest­stel­lung der über­ra­gen­den markt­über­grei­fen­den Bedeu­tung eines Unter­neh­mens für den Wett­be­werb drei auf­ein­an­der auf­bau­en­de Vor­aus­set­zun­gen an, die bereits der Gesetz­ge­ber in sei­ner Begrün­dung erwo­gen hatte:

  1. Das Unter­neh­men ver­fügt über Grö­ßen- und Ressourcenvorteile
  2. Das Unter­neh­men ver­fügt über eine zen­tra­le stra­te­gi­sche Positionierung
  3. Die­se bei­den ers­ten Umstän­de ermög­li­chen dem Unter­neh­men
    a) erheb­li­chen Ein­fluss auf die Geschäfts­tä­tig­keit Drit­ter zu neh­men, oder
    b) die eige­ne Geschäfts­tä­tig­keit in immer neue Märk­te und Sek­to­ren auszuweiten

Besondere Gefährdungspotenziale

Deut­lich ist auch gleich eine nega­ti­ve Klar­stel­lung in der Ent­schei­dung: Die Tätig­keit des Unter­neh­mens muss kei­ne kon­kre­te Gefahr für den Wett­be­werb begrün­den oder ihn bereits beein­träch­ti­gen. Schon das Gefähr­dungs­po­ten­zi­al rei­che aus.

Dies erge­be sich zunächst dar­aus, dass die Kri­te­ri­en in § 19a Abs. 1 S. 2 GWB an den Eigen­schaf­ten des Unter­neh­mens und nicht an sei­nem Markt­ver­hal­ten anknüp­fen. Sie beschrei­ben über­wie­gend die stra­te­gi­schen und wett­be­werb­li­chen Mög­lich­kei­ten des Unternehmens.

Dem gegen­über ist bei Ver­fü­gun­gen auf der zwei­ten Stu­fe auf Abs. 2 wie­der­um eine kon­kre­te Wett­be­werbs­ge­fahr oder sogar Wett­be­werbs­be­ein­träch­ti­gung erfor­der­lich. Dort kön­nen bestimm­te Ver­hal­tens­wei­sen unter­sagt oder vor­ge­ge­ben wer­den. Sofern eine Gefahr für den Wett­be­werb dabei nicht hin­rei­chend sub­stan­ti­iert nach­ge­wie­sen wäre, wür­de sich das Bun­des­kar­tell­amt ermes­sens­feh­ler­haft ver­hal­ten. Aus die­ser Sys­te­ma­tik lässt sich der Rück­schluss zie­hen, dass für die Fest­stel­lung der Adres­sa­ten­ei­gen­schaft noch kei­ne kon­kre­te Gefahr selbst nach­ge­wie­sen sein muss.

Überragender Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten

Hin­sicht­lich des Zugangs des Unter­neh­mens zu wett­be­werbs­re­le­van­ten Daten stellt der BGH zunächst klar, dass die­ser Begriff im Wesent­li­chen in § 19a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB einer­seits und in § 18 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 3a Nr. 4 GWB ande­rer­seits gleich aus­zu­le­gen sei. Aller­dings kommt es für die Betrach­tung der markt­be­herr­schen­den Stel­lung auf die Bewer­tung im Ver­hält­nis zu sei­nen Wett­be­wer­bern an. Bei der Fest­stel­lung nach § 19a Abs. 1 GWB sei­en alle Mög­lich­kei­ten eines Daten­zu­gangs relevant.

Eine quan­ti­ta­ti­ve Aus­sa­ge über die Daten­zahl sei nicht aus­rei­chend. Aus­rei­chend ist viel­mehr die Mög­lich­keit zum markt­über­grei­fen­den Ein­satz der Daten.

Marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzleistungen

Die Fest­stel­lung als Unter­neh­men mit Über­ra­gen­der markt­über­grei­fen­der Bedeu­tung für den Wett­be­werb selbst ver­langt nicht zwin­gend die Fest­stel­lung einer bestimm­ten Markt­stel­lung oder gar markt­be­herr­schen­der Stel­lung. Aller­dings stellt § 19a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GWB als Kri­te­ri­um die Mög­lich­keit zur Fest­stel­lung der Markt­macht. Inso­fern bean­stan­det der BGH auch nicht die Fest­stel­lun­gen der Kar­tell­be­hör­de, dass Ama­zon auf dem deut­schen Markt für Online-Markt­platz­dienst­leis­tun­gen über eine markt­be­herr­schen­de Stel­lung ver­fügt. Die­se Aus­sa­ge dürf­te es in der nächs­ten Zeit und solan­ge sich die tat­säch­li­chen Umstän­de nicht ändern, auch bei der all­ge­mei­nen Miss­brauchs­kon­trol­le ein­fa­cher machen, die Adres­sa­ten­stel­lung gericht­lich zu belegen.

Feststellungen zum sachlich relevanten Markt

Nicht über­ra­schend sind die Aus­sa­gen des BGH zur Aus­tausch­bar­keit. Aus Sicht der gewerb­li­chen Händ­ler ist das Leis­tungs­an­ge­bot eines Online-Markt­lat­zes nicht mit dem sta­tio­nä­ren Ver­trieb oder dem Ver­trieb über einen eige­nen Online-Shop aus­tausch­bar. Das gel­te auch nicht, wenn ergän­zend Soft­ware­tools, Pro­dukt- und Preis­ver­gleichs­diens­te, bezahl­te Such­ma­schi­nen­wer­bung, Wer­bung auf Social-Media-Platt­for­men und Such­ma­schi­nen­op­ti­mie­rung genutzt werden.

Inter­es­sant sind hier die Aus­füh­run­gen über das Ver­hält­nis zwi­schen Bedarfs­markt­kon­zept und dem SSNIP-Test. Letz­te­rer wird auch als soge­nann­ter hypo­the­ti­scher Mono­p­lis­ten­test beschrei­ben und rich­tet sich nach den mög­li­chen Aus­wir­kun­gen eines vor­über­ge­hen­den Preis­auf­schlags. Er ver­sucht dabei ledig­lich Annä­he­run­gen, stellt aber nicht als sol­cher die recht­li­chen Anfor­de­run­gen dar. Las­sen sich Auf­wir­kun­gen bei Preis­auf­schlä­gen in der Form von Wech­sel­be­we­gun­gen fest­stel­len, so spricht eini­ges für einen gleich­blei­ben­den Bedarf. Sind jedoch bereits ohne die­sen Test unter­schied­li­che Bedar­fe ein­deu­tig fest­ge­stellt, so erüb­rigt sich der SSNIP-Test.

Verhältnis zum DMA

Umstrit­ten war noch das Ver­hält­nis zwi­schen § 19a GWB und dem Digi­tal Mar­kets Act (DMA). Art. 1 Abs. 6 S. 2 lit. b) DMA sieht hier­zu vor, dass der DMA die Anwen­dung natio­na­ler Vor­schrif­ten des Wett­be­werbs zur Miss­brauchs­kon­trol­le unbe­rührt lässt, soweit sie auf ande­re Unter­neh­men als Tor­wäch­ter im Sin­ne des DMA ange­wandt wer­den oder die­sen Tor­wäch­tern wei­te­re Ver­pflich­tun­gen auf­er­legt wer­den. Hin­zu kam die Fra­ge, ob es einer Noti­fi­zie­rung der Vor­schrift bei der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on bedurft hätte.

Der BGH sieht jeden­falls § 19a Abs. 1 GWB als eine sol­che Vor­schrift des natio­na­len Wett­be­werbs­rechts. Auch eine Noti­fi­zie­rung sei nicht erforderlich.

Zuständigkeit des BGH

Der BGH ent­schei­det wegen § 73 Abs. 5 GWB als ein­zi­ge Rechts- und auch Tat­sa­chen­in­stanz über sämt­li­che Strei­tig­kei­ten. Ama­zon hat­te eine Beschwer­de erho­ben, die des­halb direkt zum BGH ging und nicht wie sonst üblich zum OLG Düs­sel­dorf. Den Angriff Ama­zons auf die­se Son­der­zu­stän­dig­keit sieht der BGH unbe­grün­det, da der Gesetz­ge­ber sich im Rah­men der ihm zuste­hen­den Ein­schät­zungs­prä­ro­ga­ti­ve nicht offen­sicht­lich feh­ler­haft oder evi­dent unsach­lich ver­hal­ten habe. Er habe ange­sichts von ihm fest­ge­stell­ter wett­be­werb­li­cher Beson­der­hei­ten wirk­sa­me Instru­men­te für den behörd­li­chen Schutz des Wett­be­werbs schaf­fen wollen.

Den Ein­wän­den Ama­zons hält der BGH auch ent­ge­gen, dass das kar­tell­be­hörd­li­che Ver­fah­ren immer­hin zwei­stu­fig ist. Die unter­schied­li­chen Ver­fah­rens­stu­fen kön­nen zwar immer­hin jeweils Gegen­stand eines eige­nen Rechts­wegs wer­den. Das betrof­fe­ne Unter­neh­men erhält gleich­zei­tig aber auch eine Über­prü­fungs­mög­lich­keit. Ergän­zen lässt sich hier­zu noch, dass gemäß § 19a Abs. 1 S. 3 GWB die Fest­stel­lungs­ver­fü­gung nach S. 1 auf fünf Jah­re nach Ein­tritt der Bestands­kraft zu befris­ten ist.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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