Vor wenigen Wochen hat das Bundeskartellamt ein erneutes Verfahren gegenüber dem Facebook-Konzern eröffnet. Hintergrund ist die Verknüpfung von Oculus mit dem Facebook-Netzwerk. Worum geht es in diesem Verfahren, was sind die möglichen Folgen und was können andere Unternehmen jetzt veranlassen?
Worum geht es in diesem Verfahren?
Die Nutzung der VR-Brillen von Oculus soll nur noch zusammen mit einem Facebook-Konto möglich sein. Das bedeutet, dass Nutzer sich zwingend einen Account bei dem sozialen Netzwerk anlegen müssen, der dann als Oculus-Account genutzt werden soll. Eine Alternative, etwa über eine selbstgewählte Email-Adresse, soll nicht möglich sein. Das BKartA sieht darin eine kartellrechtswidrige Kopplung und hat deshalb ein Missbrauchsverfahren eingeleitet. Der Marktmachtmissbrauch ist gemäß Art. 102 AEUV und § 19 GWB verboten.
Welchen Einfluss hat die letzte Facebook-Entscheidung des BGH?
Der BGH hatte am 23.6.2020 (Az.: KVR 69/19) bereits einmal über das Geschäftsmodell des Facebook-Konzerns entschieden. Hintergrund war hierbei das erste Facebook-Verfahren des BKartA. Dieses richtete sich gegen die Datenverarbeitungsbefugnisses des Konzerns. Der BGH ermöglichte die Vollziehbarkeit der behördlichen Entscheidung – allerdings mit einer anderen dogmatischen Begründung.
Das BKartA hatte argumentiert, die Bedingungen Facebooks verstößen gegen „datenschutzrechtliche Wertungen“ und dabei einen Verstoß gegen die DSGVO mitgeprüft. Der BGH spricht sich dagegen aus und setzt eine Stufe höher an, nämlich bei den Grundrechten, die bei der Auslegung der kartellrechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen seien.
Dieses Vorgehen ist zwar im Ergebnis gleich, im Vorgehen jedoch grundverschieden. Denn es kommt dabei auf Verstöße gegen das Datenschutzrecht nicht einmal mehr an (also kein privacy by object). Maßgeblich ist allein eine originär am Schutzzweck des Kartellrechts sich orientierende Interessenabwägung. Bei dieser Abwägung können auch Interessen berücksichtigt werden, die von anderen Rechtsmaterien miterfasst werden. Dies wiederum kann in der Wirkung auch einer Durchsetzung des Datenschutzes nahekommen (privacy by effect ist möglich).
Hat das Verfahren etwas mit dem Verbraucherschutz zu tun?
Grundsätzlich schützt das Kartellrecht die Institution des Wettbewerbs und soll die Offenhaltung des Wettbewerbsprozesses sicherstellen. Ein dabei miterfasster Schutzzweck ist auch der Schutz der Verbraucher. Diese können etwa als Marktgegenseite eines marktbeherrschenden Unternehmens von zu hohen Preisen oder unangemessenen Geschäftsbedingungen betroffen sein. Dogmatisch hat der BGH dies in seiner Facebook-Entscheidung vom 23.6.2020 (Az.: KVR 69/19) präzisiert. Dort hat er insbesondere die Bedeutung der Grundrechte bei der kartellrechtlichen Abwägung hervorgehoben. Jedoch können Verbraucher sich nicht selbst an diesem Verfahren beteiligen.
Was hat es mit der Frage nach der Marktmacht auf sich?
Um in den Anwendungsbereich des Marktmachtmissbrauchsverbots zu fallen, muss ein Unternehmen zunächst marktbeherrschend sein. Das bedeutet, dass es auf einem sachlich relevanten Markt frei von wesentlichem Wettbewerb ist. Es hat dann die Möglichkeit, sich unabhängig vom Wettbewerb zu verhalten.
Bei dieser Untersuchung wird in einem ersten Schritt der relevante Markt abgegrenzt. Im zweiten Schritt werden die Wettbewerbsverhältnisse auf diesem abgegrenzten Markt untersucht. Besonders bei digitalen Plattformen ist dies mit einem erhöhten Untersuchungs- und Begründungsaufwand verbunden, da zahlreiche verschiedene Märkte betroffen sein könnten. Das BKartA hat hierzu in den letzten Jahren eine solide Entscheidungspraxis herausgebildet.
Welche Arten des Missbrauchs kommen hier in Betracht?
Das BKartA untersucht hier einen Kopplungsmissbrauch gegenüber den Nutzern der Oculus-Brillen. Es wird also untersucht, ob das Unternehmen seine Marktstellung missbraucht, indem es die Hardware-Nutzung mit der Registrierung beim sozialen Netzwerk verknüpft (Account-Zwang). Denkbar sind aber auch andere Formen des Marktmachtmissbrauchs, etwa missbräuchliche Preissetzungstrategien durch die Ausnutzung der vertikal integrierten besseren Zugriffsmöglichkeiten auf große Datensammlungen oder ein Verdrängungsmissbrauch. Letzterer spielt gerade bei digitalen Plattformen eine große Rolle.
Was ist eine Kopplung?
Eine Kopplung im kartellrechtlichen Sinne liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen zwei Leistungen ohne sachliche Rechtfertigung miteinander verknüpft. Es kommt dann zu einem Abnahmezwang auch der zweiten Leistung, selbst wenn die Nachfrager nur Interesse an dem ersten Angebot haben. Das kann für die Nachfrager zu einer Einschränkung ihrer Wahlfreiheit führen. Andere Unternehmen werden dadurch beeinträchtigt, indem das marktbeherrschende Unternehmen seine weiteren Angebote zwangssubventioniert. Das kartellrechtliche Kopplungsverbot ist unabhängig von dem datenschutzrechtlichen Verbot in Art. 7 Abs. 4 DSGVO.
Wer ist möglicherweise betroffen?
Auf mehreren Ebenen könnten Marktteilnehmer betroffen sein, zum Beispiel:
– Verbraucher
– VR-Hardware-Anbieter, ‑Hersteller und ‑Vorleister
– Inhalteanbieter und VR-Anbieter
– VR-Veranstalter
– Software-Anbieter
– Andere soziale Netzwerke
– App-Store-Betreiber
Dabei spielt es keine Rolle, ob sie auf demselben Markt wie Facebook tätig sind. Ausschlaggebend ist schon, dass ihre wettbewerblichen Entfaltungs- und Teilnahmemöglichkeiten missbräuchlich eingeschränkt werden. Es sind also noch unzählige weitere Unternehmen denkbar, die betroffen sein könnten. Untersucht werden könnte deshalb auch, inwiefern Informationen von Unternehmen und ihren Kunden hierdurch auf Facebook umgeleitet werden.
Welche Rolle spielen die Grundrechte?
Die Grundrechte haben nach der ersten Facebook-Entscheidung des BGH eine besonders wichtige Bedeutung gewonnen. Überraschend kam dies nicht, denn bereits in anderen jüngeren Entscheidungen hat der BGH ähnliche Tendenzen gezeigt. Es kommt bei der Auslegung der kartellrechtlichen Vorschriften auf ihren Zweck an, nämlich die Offenhaltung des Wettbewerbsprozesses als solchen und die diesen begründenden grundlegenden Interessen. Letztere werden durch Grundrechte dargestellt. Bei der Frage, was missbräuchlich ist, wird demnach auch untersucht, ob ein vom Schutzbereich erfasstes Grundrecht ohne Rechtfertigung eingeschränkt wird.
Was können andere Unternehmen jetzt tun?
Betroffene Unternehmen könnten zum einen versuchen, Ihre eigenen Interessen im Wege der privaten Kartellrechtsdurchsetzung zu verfolgen. In Betracht kommen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Daneben besteht zum anderen die Möglichkeit, sich an der behördlichen Rechtsdurchsetzung des Bundeskartellamts zu beteiligen. Dies kann durch die Unterstützung der Behörde in dem eingeleiteten Verfahren erfolgen. Nach einer Beiladung können betroffene Unternehmen ihre Interessen insbesondere in Stellungnahmen formulieren. Es können auch eigene Beschwerdepunkte vorgebracht werden. Wird dieses Verfahren mit einer Entscheidung beendet, könnten sich schließlich Follow-on-Kartellschadensersatzforderungen anschließen. In diesem Fall könnten Unternehmen versuchen, die Tatbestandswirkung über einen Verstoß zu ihren Gunsten zu nutzen.
Was kann ich als Anwalt tun?
Derartige Verfahren sind regelmäßig komplexer. Das gilt zum einen wegen der Sachverhaltsfragen. Allein die Marktuntersuchungen in Plattform-Sachverhalten sind regelmäßig sehr umfangreich. Zum anderen sind zahlreiche rechtliche Fragen noch offen, wenig geklärt oder regelmäßig Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen. Ich habe mich als Rechtsanwalt bereits seit langem auf Plattformen spezialisiert. Dabei kann ich Wissenschaft und Praxis gut miteinander vereinbaren.
„Digitale Plattformen und Innovation liegen eng beieinander. Rechtsfindung in innovationserheblichen Sachverhalten ist auch ein Entdeckungsprozess; entdeckt werden sollen dogmatisch rechtsfehlerfreie Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen. Beratung in diesem Entdeckungsprozess verlangt gleichzeitig wissenschaftliche Aktualität wie auch Praxistauglichkeit. Beides biete ich an.“
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Louven
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Wer die Facebook-Entscheidung des BGH vom 23.6.2020 mehr verstehen will, kann dazu in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Computer und Recht nachlesen. Hier stelle ich meine Lesart dieser wichtigen Entscheidung für das interessierte Publikum etwas ausführlicher dar.