Anfang März hatte ich noch über das laufende Kartellverfahren der französischen Wettbewerbsbehörde (Autorité de la Concurrence) gegenüber Apple berichtet. Dieses befasst sich mit dem sogenannten App Tracking Transparency Framework (kurz ATTF) der Plattform. Laut eines Berichts standen damals wohl schon Bußgelder im Raum. Auch das deutsche BKartA hat kartellrechtliche Bedenken in einem Verfahren geäußert.
Vor kurzem hat die französische Wettbewerbsbehörde öffentlich mitgeteilt, dass sie wegen der Praktiken im Zusammenhang mit dem ATTF gegenüber Apple ein Bußgeld in Höhe von 150.000.000,00 Euro verhängt hat. Die Entscheidung ist hier im Volltext auf französisch verfügbar. Ergänzend hat die Behörde eine Präsentation zur Erläuterung veröffentlicht.
Was ist der Hintergrund des französischen Verfahrens?
Das sogenannte App Tracking Transparency Framework (ATTF) hatte Apple im April 2021 über Updates seiner Betriebssysteme eingeführt. Es macht im Wesentlichen Vorgaben an Anbieter anderer Apps im iOS App Store. Diese müssten eine zusätzliche Einwilligung ihrer Nutzer einholen, bevor sie den Zugang zu bestimmten Daten für Werbezwecke erhalten. Hintergrund ist dabei der Schutz der Privatsphäre der Endnutzer der Betriebssysteme für iOS und iPadOS.
Die französische Wettbewerbsbehörde hatte im Zusammenhang mit der Einführung des ATTF ein Verfahren eingeleitet. Sie ging davon aus, dass Apple seine Marktstellung missbrauche und eigene Dienste bevorzuge. Auch dieses Verfahren hatte also die sogenannte Selbstbegünstigung zum Gegenstand, wie sie auch vom BKartA kritisch gesehen wird. Zuvor hatten betroffene Verbände Beschwerden eingelegt. Sie sahen in der Einführung des ATTF eine gezielte Strategie für die gezielte Behinderung von Drittanbietern.
Zusammenfassung der Entscheidung der französischen Wettbewerbsbehörde
Die Autorité de la Concurrence geht zum einen von einem Sachverhalt im Zeitraum April 2021 bis Juli 2023 aus. Der für das Bußgeld angenommene Sachverhalt ist demnach bereits abgeschlossen. Es ist allerdings unklar, ob das BKartA dies anders beurteilt; aus der Pressemitteilung der deutschen Wettbewerbsbehörde könnte ein Rückschluss auf noch laufende Verstöße geschlossen werden. Weiter unten in der Pressemitteilung weist die französische Behörde aber darauf hin, dass sie von einer weiterhin bestehenden Asymmetrie bei der Behandlung zwischen Apple und den Drittapp-Publishern ausgeht.
Die französische Wettbewerbsbehörde sieht den Zweck des ATTF grundsätzlich als wettbewerblich nicht problematisch an. Es gehe um den legitimen Schutz personenbezogener Daten. Die Mittel zur Umsetzung dieses Zwecks durch Apple stehen jedoch in einem unangemessenen Verhältnis. Für Drittanbieter-Apps werde die Einführung des ATTF übermäßig komplex und damit unverhältnismäßig erscchwert. Sie müssten zahlreiche Zustimmungs-Popups durchgehen, die zudem die Neutralität des ATTF untergrüben. Kleinere App-Publisher würden zudem benachteiligt, weil sie zur Finanzierung ihres Geschäfts in hohem Maße auf die Datenerhebung über die Plattform angewiesen seien.
Zusammenfassend hat die Autorité de la Concurrence folgende drei Vorwürfe:
- Das ATTF ist unnötig komplex und stimmt nicht mit der DSGVO überein
- Die vorgesehenen Popups sind nicht-neutral und benachteiligen Drittapp-Anbieter
- Apple-Apps und Drittanbieter-Apps werden unterschiedlich behandelt
Einstweilige Maßnahmen standen wohl mal im Raum, ein darauf abzielender Antrag wurde aber abgelehnt.
Legitimer Zweck, aber unverhältnismäßige Mittel
Die Entscheidung zeigt sehr gut, wie sehr auch in nicht-preislichen Plattformsachverhalten das geltende Kartellrecht angewendet werden kann. Apple bringt auf seiner Plattform verschiedene Nutzergruppen zusammen und vermittelt ihre Interessen. Das sind hier die Endnutzer der Geräte mit Apple-Betriebssystemen auf der einen Seite und die Anbieter von dafür kompatiblen Apps auf der anderen Seite. Apps können zum einen aus dem Apple-Ökosystem stammen oder aber von Drittanbietern. Für diese Drittanbieter müssen aber auf der Plattform angemessene wettbewerbliche Bedingungen gelten.
Prüfschema der französischen Wettbewerbsbehörde
Die französische Wettbewerbsbehörde weist in ihrer Pressemitteilung zunächst darauf hin, dass Apple zwar nach eigenem Ermessen weitere Verbraucherschutzregelungen auf seiner Plattform einrichten kann, hierbei jedoch als marktbeherrschender Anbieter einer besonderen Verantwortung unterliegt. Dies ist insofern aus dem Marktmachtmissbrauchsverbot bereits bekannt: Je größer die Marktmacht, desto größer die Verantwortung für den Restwettbewerb. Daraus ergibt sich folgendes Prüfschema:
- Der verfolgte Zweck muss grundsätzlich legitim sein: Ein Marktbeherrscher darf also keine verbotenen Zwecke verfolgen. Als privatwirtschaftliches Unternehmen steht ihm hierbei ein weites Ermessen zu. Dieses kann jedoch ebenso einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegen, wobei mit steigender Marktmacht die Anforderungen an die Plausibilität steigen.
- Die eingesetzten Maßnahmen müssen erforderliche Mittel sein: Es darf insbesondere keine milderen Mittel geben. Auch hier steht einem privatwirtschaftlichen Unternehmen ein Ermessen zu, das einer Plausibilitätskontrolle unterliegt. Mit steigernder Marktmacht steigen auch die Anforderungen an die Begründung für angeblich erforderliche Maßnahmen.
- Die eingesetzten Maßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem legitimen Zweck stehen: Hier tritt die eigentliche Abwägung zwischen eingesetztem Mittel und dem verfolgten Zweck auf.
Dieses Prüfschema ähnelt sehr dem, welches Jurastudierende bereits im ersten Semester in der Vorlesung Verfassungsrecht lernen und welches auch im Verwaltungsrecht immer wieder auftritt. Allerdings ist hier zu betonen, dass es sich nicht um staatliche Akteure handelt, sondern privatwirtschaftliche Unternehmen. Diese unterliegen nicht unmittelbar grundrechtlichen Bindungen, sondern hier dem Kartellrecht. Bei der Auslegung des Kartellrechts gilt jedoch in der deutschen Rechtsprechung, dass sich aus den Grundrechten objektive Wertentscheidungen ergeben, die zu berücksichtigen sind. Für die Anwendung des europäischen Kartellrechts ist derzeit die Frage noch offen, ob sich nicht sogar eine unmittelbare Grundrechtsbindung ergibt.
Unverhältnismäßige Maßnahmen von Apple im Zusammenhang mit dem ATTF
Die französische Wettbewerbsbehörde kommt zu dem Schluss, dass die von Apple verfolgten Zwecke grundsätzlich legitim sind. In diesem Kontext hat sie sich auch mit der CNIL abgestimmt, der französischen Datenschutzbehörde. Derartige Konstellationen sind im Zusammenhang mit der wettbewerblichen Bedeutung von Daten nicht selten, wie auch Fälle in Deutschland zeigen. Die CNIL hatte zwei Stellungnahmen zum Anwendungsbereich des Datenschutzrechts abgegeben, welche die französische Wettbewerbsbehörde berücksichtigt hat. Aus dieser ergaben sich dann auch Folgen für die wettbewerbsrechtliche Erwägung. Denn die CNIL kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund des ATTF systematisch zweifach Nutzereinwilligungen eingeholt werden müssten, was eine unnötige und künstliche Komplexität darstelle. Dieser Einschätzung folgte die Autorité de la Concurrence, hier in kurzer Zusammenfassung der drei einzelnen Vorwürfe:
- Unnötige Komplexität: Das ATTF führe ein überflüssige zusätzliches Einwilligungssystem ein, welchem sich Drittanbieter unterwerfen müssen, während sie weiterhin den gesetzlichen Vorschriften folgen müssen. Eine zusätzliche Zustimmung der Nutzer sei nicht erforderlich.
- Nicht-Neutralität: Nutzer müssten ihre Einwilligung zwei Mal bestätigen, während eine Ablehnung des Trackings einfach möglich ist. Dies stelle eine Asymmetrie dar. App-Herausgeber und Werbedienstleister erleiden dadurch einen wettbewerblichen Schaden.
- Unterschiedliche Behandlung von Apps: Apple behandele die Apps von sich selbst mit denen von Drittanbietern unterschiedlich. Eigene Apps haben demnach ursprünglich nicht um Zustimmung fragen müssen, Drittanbieter-Apps jedoch sogar zweifach. Dies gelte jedenfalls bis zur Einführung von iOS 15. Die CNIL hatte aufgrund dessen eine eigene Geldbuße verhängt. Diese Asymmetrie sieht die Autorité auch weiterhin bestehen.
Die Behinderungswirkungen seien besonders schädlich für kleinere Unternehmen. Denn diese hätten aufgrund des ATTF keine tragfähigen alternativen Targeting-Möglichkeiten mehr. Zudem werde ihnen der Zugriff auf Daten erschwert.
Bußgelder
Für die Bußgeldbemessung scheint jedenfalls der Sachverhalt bis zum 25.7.2023 relevant gewesen zu sein. Es ist nicht klar, wie sie wegen der bestehenden fortwährenden Asymmetrie bei der unterschiedlichen Behandlung von Apps vorgeht. Hier könnte es sein, dass sie sich auf die kartellrechtliche Durchsetzung beschränkt und von einem Bußgeld absieht.
Letzteres könnte in dem Kontext stehen, dass auch die Datenschutzbehörde ein Bußgeld verhängt hatte. Allerdings wäre dabei nicht einmal zwingend Vorsicht geboten. Denn in derartigen Konstellationen liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem vor. Dieser verbietet lediglich, dass ein Unternehmen wegen derselben Angelegenheit doppelt bestraft wird. Ein Verstoß gegen das Kartellrecht und ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht stellen jedoch zwei Angelegenheiten dar.
Schließlich ergibt sich aus der Pressemitteilung, dass Apple eine Zusammenfassung der Entscheidung für sieben Tage auf seiner Webseite veröffentlichen muss.
Folgen
Es ist noch nicht bekannt, ob und wie Apple gegen die Entscheidung vorgeht. Weitere Verfahren laufen bereits, wie etwa das des BKartA. Zudem setzt die Kommission den DMA durch. Deshalb ist das Unternehmen derzeit mit einigen regulatorischen Fragen konfrontiert. Diese sind besonders deshalb interessant, weil sie tief in das proprietäre Plattform-Ökosystem eingreifen. So wird besonders hier diskutiert werden, wie weit durch das Kartellrecht eine Kontrolle des unternehmerischen Ermessens möglich ist.
Neben dem Bußgeld ist auch die Verfügung an sich relevant, da sie derartige Praktiken untersagt. Zudem bieten sich Möglichkeiten für Follow-on-Kartellschadensersatzansprüche.
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