Vor kur­zem hat der EuGH über die miss­bräuch­li­che Zugangs­ver­wei­ge­rung von Goog­le für Fahr­zeu­ge ent­schie­den. Dort heißt es auch, dass in dem kon­kre­ten Fall nicht erfor­der­lich der Nach­weis sei, dass der Zugang uner­läss­lich sei. Die­se Aus­sa­ge wur­de ver­schie­dent­lich bereits als Ende des Uner­läss­lich­keits­kri­te­ri­ums nach Bron­ner betrachtet.

Ein genaue­rer Blick zeigt jedoch: Bron­ner gilt grund­sätz­lich in bestimm­ten Kon­stel­la­tio­nen wei­ter­hin. Die Abgren­zung zwi­schen Fäl­len nach Bron­ner und ande­ren Fäl­len könn­te die Anwen­dung des Miss­brauchs­ver­bots in der Pra­xis jedoch ver­ein­fa­chen. Denn Platt­for­men kön­nen sich nicht mehr ein­fach so auf das Uner­läss­lich­keits­kri­te­ri­um stützen.

Woher stammt der Unerlässlichkeitstest nach Bronner?

Der Uner­läss­lich­keits­test hat sei­ne Hin­ter­grün­de in einer der ers­ten und wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen zur soge­nann­ten Essen­ti­al-Faci­li­ties-Doc­tri­ne. Die­se besagt, dass unter bestimm­ten engen Vor­aus­set­zun­gen die Ver­wei­ge­rung des Zugangs zu eige­nen Ein­rich­tun­gen miss­bräuch­lich sein kann. 

In den älte­ren Fäl­len han­del­ten die Streits vom Zugang zu phy­si­schen Ein­rich­tun­gen wie Eisen­bahn­brü­cken oder Häfen. Im spä­te­ren Ver­lauf wur­den die­se Grund­sät­ze auch auf Imma­te­ri­al­gü­ter­rech­te über­tra­gen und zuletzt auch für sons­ti­ge Inha­ber­schaf­ten diskutiert.

Zen­tral für die Bron­ner-Ent­schei­dung war dabei die Auf­stel­lung von drei wesent­li­chen Anfor­de­run­gen für einen kar­tell­recht­lich begrün­de­ten Zugangs­an­spruch (C‑7/97) bei Druckdienstleistungen.

1. Uner­läss­lich­keit: es dür­fe kei­ne rea­lis­ti­sche Alter­na­ti­ve für den Markt­teil­neh­mer bestehen

2. Aus­schal­tung des Wett­be­werbs: die Ver­wei­ge­rung ver­hin­de­re den Wett­be­werb auf dem nach­ge­la­ger­ten Markt

3. kei­ne objek­ti­ve Recht­fer­ti­gung: es bestehen kei­ne sach­li­chen Grün­de für die Zugangsverweigerung

Dog­ma­ti­scher Anknüp­fungs­punkt war hier­bei, dass nie­mand ohne wei­te­res eine ihm gehö­ren­de Infra­struk­tur tei­len müss­te. Ein Zugangs­an­spruch ist aber als Ein­griff in die Pri­vat­au­to­no­mie nur unter engen Bedin­gun­gen gerechtfertigt. 

Bringt die Entscheidung Enel/​Google einen Paradigmenwechsel?

Aus der letz­ten Ent­schei­dung des EuGH zu Enel/​Google nun konn­te die neue Aus­sa­ge ent­nom­men wer­den, dass Miss­brauch in die­sem Fall auch ohne Uner­läss­lich­keit des Zugangs ange­nom­men wer­den kann. Es rei­che schon aus, dass der Ver­trieb der Dritt­an­bie­ter-App über Goog­le eine gewis­se Attrak­ti­vi­tät für deren Nut­zer mit sich brin­ge. Dem ent­spre­che, dass der­ar­ti­ge Platt­for­men für Drit­te geöff­net wer­den. Der Platt­form­be­trei­ber ist dann dar­an gebun­den, die­sen Drit­ten gleich­be­rech­tigt Zugang zu gewähren.

Öff­net ein Inha­ber sei­ne Ein­rich­tung also für Drit­te, so kann er sich nicht all­ge­mein auf sei­ne Eigen­tums­rech­te zurück­zie­hen. Er kann nicht mehr den Ein­wand erhe­ben, die Ein­rich­tung sei ihm allein vor­be­hal­ten. Lässt er sei­ne Ein­rich­tung aber geschlos­sen, so bleibt er wei­ter­hin durch den Uner­läss­lich­keits­test aus Bron­ner geschützt. Zugang kann dann also erst bei Über­schrei­ten der höhe­ren Hür­de ver­langt werden.

Zugang kann in Platt­form­fäl­len also grund­sätz­lich ohne Uner­läss­lich­keits­kri­te­ri­um ver­langt wer­den. Es lässt sich also zwi­schen offe­nen und geschlos­se­nen Ein­rich­tun­gen unter­schei­den. Da Tem­pla­tes für Dritt­an­bie­ter bereits vor­ge­se­hen waren, hat­te Enel Anspruch auf eine gleich­be­rech­tig­te Behand­lung. Etwa­ige erfor­der­li­che Tem­pla­tes muss Goog­le dann nach­er­stel­len. Ande­res mag gel­ten, wäre das Fahr­zeug-Betriebs­sys­tem von vor­ne­her­ein nur für den Eigen­be­trieb von Goog­le vor­ge­se­hen gewe­sen. Dann hät­ten wohl wei­ter­hin die stren­gen Bron­ner-Kri­te­ri­en gegolten.

Wo gilt der Unerlässlichkeitstest weiterhin?

Den vor­her­ge­hen­den Aus­füh­run­gen lässt sich ent­neh­men, dass jeden­falls die pri­vat betrie­be­ne Infra­struk­tur geschützt bliebt. Sie kann nur unter den zusätz­lich Vor­aus­set­zun­gen von Bron­ner geöff­net wer­den. Das gilt auch für Unter­neh­men, die ihre Infra­struk­tur nie für Drit­te geöff­net haben. 

Der Uner­läss­lich­keits­test müss­te also ins­be­son­de­re bei einer Soft­ware ange­wen­det wer­den, die ein Unter­neh­men exklu­siv für sich selbst ent­wi­ckelt und betreibt. 

Anders her­um ist dies aber wie­der­um bei Ein­rich­tun­gen, die auf­grund eines gesetz­li­chen Auf­trags ent­wi­ckelt und betrie­ben wer­den. Dann kann der öffent­li­che Zweck mit der Öff­nung für Drit­te gleich­ge­setzt werden.

Was bedeutet dies für Unternehmen?

Platt­form­be­trei­ber kön­nen sich nicht mehr pau­schal auf den Uner­läss­lich­keits­test beru­fen. Wer­den bereits Tem­pla­tes oder sogar Schnitt­stel­len ange­bo­ten, muss das Unter­neh­men ande­re Unter­neh­men dis­kri­mi­nie­rungs­frei zulas­sen. Das erhöht für den Ver­pflich­te­ten auch den regu­la­to­ri­schen Rah­men. Er muss sich mit mög­li­chen Anfra­gen aus­ein­an­der­set­zen und ange­mes­sen reagie­ren. Das bedeu­tet auch, dass er Zugangs­be­din­gun­gen noch schafft, die bis­lang unge­klärt geblie­ben sind.

Das bedeu­tet, dass die Öff­nung einer Platt­form grund­sätz­lich auch mit einem regu­la­to­ri­schen Risi­ko ver­bun­den ist. Die hohen Bron­ner-Hür­den fal­len und die Platt­form muss Vor­keh­run­gen tref­fen, um pro­ak­tiv Miss­brauchs­ri­si­ken zu beseitigen.

Wei­ter­hin wird es auf Abgren­zungs­fra­gen ankom­men, wann eine Platt­form geöf­fent wur­de und wann noch nicht. Dies kann im Ein­zel­fall zu wei­te­ren Streits führen.


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Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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