Vor eini­gen Wochen hat­te ich über einen Beschluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts berich­tet, in dem es um die Anhö­rung Ama­zons in einem kar­tell­recht­li­chen einst­wei­li­gen Ver­fü­gungs­ver­fah­ren ging. Dar­in rüg­te das Unter­neh­men, dass es selbst nicht aus­rei­chend ange­hört wor­den sei, bevor das Land­ge­richt Mün­chen I eine einst­wei­li­ge Ver­fü­gung erlas­sen hatte.

Ein paar Tage spä­ter dann wur­de bekannt, dass die einst­wei­li­ge Ver­fü­gung wie­der auf­ge­ho­ben wur­de. Die Ent­schei­dung des Gerichts ist hier im Voll­text ver­füg­bar. Sie lässt sich wie folgt zusam­men­fas­sen: Dem Ama­zon-Ver­käu­fer steht in dem kon­kre­ten Fall ein kar­tell­recht­li­cher Unter­las­sungs­an­spruch nicht zu, da die Sper­re des Ver­käu­fer­kon­tos sach­lich gerecht­fer­tigt war. Denn das kla­gen­de Unter­neh­men war bereits in der Ver­gan­gen­heit wegen eines gleich­lau­ten­den Vor­wurfs (Kauf von Kun­den­re­zen­sio­nen) gesperrt wor­den, wie er auch Gegen­stand der aktu­ells­ten Sper­re war. Aus die­sem Grund habe Ama­zon sei­ne Sper­re in die­sem kon­kre­ten Fall nicht wei­ter begrün­den müssen.

Obwohl die­se Ent­schei­dung im Ergeb­nis ein Gewinn für Ama­zon ist, ent­hält sie eini­ge hilf­rei­che Klar­stel­lun­gen zu sei­nen Lasten:

  1. Ama­zon ist auf dem sach­lich und räum­lich rele­van­ten Markt für die Erbrin­gung von Dienst­leis­tun­gen von Online­markt­plät­zen gegen­über Online­händ­lern in Deutsch­land markt­be­herr­schend und damit Adres­sa­tin des Behin­de­rungs- und Dis­kri­mi­nie­rungs­miss­brauchs­ver­bots aus § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB
  2. Eine unzu­rei­chend begrün­de­te Sper­re eines Händ­ler- und Gut­ha­ben­kon­tos kann einen Markt­mach­miss­brauch dar­stel­len und des­halb einen kar­tell­recht­li­chen Unter­las­sungs­an­spruch gemäß § 33 Abs. 1 GWB begründen

Kei­ne Aus­sa­ge trifft das Gericht übri­gens zu § 20 Abs. 1 S. 1 GWB, obwohl die­ser Weg sogar noch etwas ein­fa­cher gewe­sen wäre. Mög­li­cher­wei­se aber schien es der erken­nen­den Kam­mer im kon­kre­ten Fall ein­fa­cher begründ­bar oder war auch bes­ser glaub­haft gemacht wor­den, schlicht­weg die markt­be­herr­schen­de Stel­lung auf einem rele­van­ten Markt gemäß § 18 Abs. 1 GWB zu begrün­den. Grund­sätz­lich erschien es bereits unter der bis­he­ri­gen Rege­lung nahe­lie­gend, dass Ver­käu­fer gegen­über Ama­zon platt­form­be­dingt abhän­gig sind und dass bereits des­halb das Behin­de­rungs- und Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot aus § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB anwend­bar sind. Mit der 10. GWB-Novel­le wur­de zudem in § 20 Abs. 1 S. 2 GWB die Inter­me­dia­ti­ons­macht als beson­de­rer Fall rela­ti­ver Markt­macht ein­ge­führt. Damit ergibt sich eine erleich­ter­te Anwen­dung der zitier­ten kar­tell­recht­li­chen Ver­bo­te und damit auch des Ver­bots einer sach­lich nicht gerecht­fer­tig­ten Sper­re. Es ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass Unter­las­sungs­an­sprü­che auch hier­auf bezo­gen erfolg­reich durch­ge­setzt wer­den können.

Sachliche Rechtfertigung einer Sperre

Zunächst stellt das Gericht sehr deut­lich dar, dass ein markt­be­herr­schen­des Unter­neh­men wie Ama­zon sei­ne Kun­den nicht ohne wei­te­res und erst recht nicht ohne sach­li­che Begrün­dung sper­ren darf. Dies ergibt sich unmit­tel­bar aus dem Ver­bot des Behinderungsmissbrauchs.

Sehr deut­lich wird dies in der zwei­ten Hälf­te bei Rand­num­mer 73 der Ent­schei­dung. Dort heißt es auszugsweise:

Ein markt­be­herr­schen­des Unter­neh­men ist in sei­ner Ent­schei­dung über Auf­nah­me und Been­di­gung von Geschäfts­be­zie­hun­gen auf ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­es und von sach­li­chen Erwä­gun­gen getra­ge­nes Ver­hal­ten beschränkt. Im Rah­men der Been­di­gung einer Geschäfts­be­zie­hung hat ein markt­be­herr­schen­des Unter­neh­men dem Geschäfts­part­ner die eine Been­di­gung tra­gen­den sach­li­chen Grün­de mit­zu­tei­len, um die­sem ins­be­son­de­re zu ermög­li­chen, die­se nach­zu­voll­zie­hen, die die Been­di­gung begrün­den­den Umstän­de ggf. selbst zu besei­ti­gen und die Erfolgs­aus­sich­ten eines etwa­igen gericht­li­chen Rechts­schut­zes gegen die Been­di­gungs­maß­nah­me abschät­zen zu können.LG Mün­chen I, End­ur­teil v. 12.05.2021 – 37 O 32/21, Rn. 73.

Mit ande­ren Wor­ten: ohne über­haupt eine sach­li­che Recht­fer­ti­gung darf Ama­zon nicht sper­ren. Die­se sach­li­che Recht­fer­ti­gung muss außer­dem gegen­über dem gesperr­ten Unter­neh­men begrün­det wer­den. Denn es muss sich gegen eine unrecht­mä­ßi­ge Sper­re ange­mes­sen weh­ren kön­nen oder die Umstän­de einer etwa begrün­de­ten Sper­re besei­ti­gen können.

Es besteht also für Ama­zon ein Prüf­sche­ma bei etwa­igen Sperren:

  1. Liegt über­haupt eine sach­li­che Recht­fer­ti­gung für eine Sper­re vor?
  2. Ist die Sper­re auch im kon­kre­ten Fall gerechtfertigt?
  3. Hat Ama­zon die Sper­re im kon­kre­ten Fall aus­rei­chend begrün­det oder ist eine Begrün­dung entbehrlich?

Begründungspflicht für jede Sperre im konkreten Einzelfall

In die­sem kon­kre­ten Fall konn­te Ama­zon dem Gericht nach­wei­sen, dass das betrof­fe­ne Unter­neh­men zum einen bereits in der Ver­gan­gen­heit Kun­den­re­zen­sio­nen gekauft hat­te und dies wohl erneut getan hat. Des­halb hät­te kei­ne erneu­te Begrün­dung für eine Sper­re vor­ge­legt wer­den müssen.

Deut­lich ist hier­bei aber auch die Aus­sa­ge des Gerichts: Ama­zon muss die kon­kre­ten Tat­sa­chen oder Umstän­de, ein­schließ­lich des Inhalts der Mit­tei­lun­gen Drit­ter, die die Platt­form zu sei­ner Sperr-Ent­schei­dung bewo­gen haben, und die für die­se Ent­schei­dung gel­ten­den Grün­de anzu­ge­ben. Der gewerb­li­che Platt­form­nut­zer muss in der Lage sein kön­nen zu prü­fen, ob er die Sper­re erfolg­reich anfech­ten kann. Rn. 78 der Ent­schei­dung wird dann noch deut­li­cher: Die­sen Anfor­de­run­gen wer­de die in dem Fall von Ama­zon abge­ge­be­ne Begrün­dung, in der nur pau­schal, unter Ver­wen­dung stan­dar­di­sier­ter Text­bau­stei­ne auf einen Ver­dacht bzgl. der Mani­pu­la­ti­on von Pro­dukt­be­wer­tun­gen Bezug genom­men wird, nicht gerecht. Eine bloß pau­scha­le und auto­ma­ti­sier­te Begrün­dung kann also nicht ausreichen.

Das gilt übri­gens noch ein­mal mehr, wenn sich ein Unter­neh­men gegen eine Sper­re zur Wehr setzt und kon­kret Umstän­de oder Argu­men­te gegen­über Ama­zon vor­trägt. In die­sem Fall wäre bereits der Umstand miss­bräuch­lich, die Argu­men­ta­ti­on zu über­ge­hen und nach­voll­zieh­ba­re Grün­de nicht ange­mes­sen zu würdigen.

Anwendbarkeit der P2B-Verordnung?

Das Land­ge­richt Mün­chen I hat in die­sem Fall eine Aus­nah­me von der Begrün­dungs­pflicht gemäß Art. 4 Abs. 5 2. UAbs. P2B-VO ange­nom­men. Die­se Vor­schrift lau­tet wie folgt:

Ein Anbie­ter von Online-Ver­mitt­lungs­diens­ten ist nicht ver­pflich­tet, eine Begrün­dung abzu­ge­ben, wenn er auf­grund gesetz­li­cher oder behörd­lich ange­ord­ne­ter Ver­pflich­tun­gen die kon­kre­ten Tat­sa­chen oder Umstän­de und den zutref­fen­den Grund bzw. die zutref­fen­den Grün­de nicht offen­le­gen darf, oder wenn er nach­wei­sen kann, dass der betrof­fe­ne gewerb­li­che Nut­zer wie­der­holt gegen die gel­ten­den all­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen ver­sto­ßen hat, was zur voll­stän­di­gen Been­di­gung der betref­fen­den Online-Ver­mitt­lungs­diens­te geführt hat.

Das klingt zunächst nach­voll­zieh­bar jeden­falls in den Fäl­len, wenn es inhalts­glei­che Ver­stö­ße gibt. Ein Vor­ge­hen gegen eine Sper­re macht jeden­falls bei einem erheb­li­chen und inter­es­sen­wid­ri­gen Vor­ver­hal­ten kei­nen Sinn.

Den­noch passt auch die­se Vor­schrift nicht ganz. Denn mit die­ser Begrün­dung hät­te ein markt­be­herr­schen­des Unter­neh­men es in der Hand, sei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen frei zu gestal­ten. Es ist aber auch dabei an das kar­tell­recht­li­che Markt­macht­miss­brauchs­ver­bots gebun­den. Es dürf­ten also auch in den Geschäfts­be­din­gun­gen nur dann Grün­de zu einer Sper­re füh­ren, die ihrer­seits sach­lich gerecht­fer­tigt sind. Ist das der Fall, so wäre eine dar­auf auf­bau­en­de Sper­re aber nachvollziehbar.

Das lässt sich etwa ver­glei­chen mit einer Sper­re wegen belei­di­gen­den Posts, ras­sis­ti­schem oder grob com­mu­ni­ty-feind­li­chen Ver­hal­ten. Ver­stößt eine Per­son auf einer Platt­form gegen ihre berech­tig­ten Inter­es­sen, so muss die­se nicht jedes Mal erneut eine Rück­kehr ermög­li­chen, son­dern kann irgend­wann auch dau­er­haft den Schluss­strich zie­hen. Das­sel­be kann etwa bei vor­her­ge­hen­dem straf­ba­ren Ver­hal­ten gegen­über dem markt­mäch­ti­gen Unter­neh­men selbst gel­ten, wenn die­ses noch nicht lan­ge her ist. Es ist des­halb wich­tig bei einem kar­tell­recht­li­chen Vor­ge­hen gegen Ama­zon-Sper­ren, dass etwa­ige vor­he­ri­ge Ver­stö­ße vor­her abge­klärt und bewer­tet werden.

Über den Autor

Porträtbild von Dr. Sebastian Louven

Dr. Sebastian Louven

Ich bin seit 2016 selbstständiger Rechtsanwalt und berate vorwiegend zum Kartellrecht und Telekommunikationsrecht. Seit 2022 bin ich Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht.

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